Abarth 595 Esseesse? „Oh! Der ist aber niedlich!“ Oft gehört, oft völlig fehlinterpretiert. Der mag vielleicht niedlich aussehen, doch hat er es faustdick hinter den Ohren. Schließlich war Abarth früher – wir sprechen von einem Beginn vor rund 70 Jahren – Tuner für Fiat-Modelle. Heute gehört Abarth zu Fiat. Nicht nur das: Abarth steht für besonders sportliche Autos mit toller Performance. Ob das für den Fiat 500 – pardon: Abarth 595 – auch gilt? Immerhin ist von einem Kleinstwagen die Rede? Das klären wir im Drive Check!
Abarth 595 Esseesse Fahrbericht | Test | Probefahrt
Er fällt typisch ins Kindchen-Schema: Große Augen, rundliche Formen, kleine Abmessungen. Der Abarth 595 Esseesse sticht dem Laien nicht unbedingt als Sportler ins Auge. Dennoch: Hinter den großen, runden Augen verbergen sich Bi-Xenon-Scheinwerfer – bei einem Kleinstwagen wohlgemerkt! Klar, LED wäre schöner gewesen, aber immerhin! Was fällt noch auf? Der große Frontspoiler, die Beklebung und vor allem eines: Der Abarth-Skorpion! Hier prangt kein Fiat-Signet am Kühlergrill, sondern das traditionelle Markenzeichen der Sportschmiede Abarth!
Seitlich fällt das verhältnismäßig große Räderwerk ins Auge: 17-Zoll-Leichtmetallfelgen im Y-Speichen-Design steckten die Italiener in die Radhäuser. Und das sieht keineswegs fehl am Platz aus! Zumal sich hinter den sportlich-schönen Felgen Brembo Bremsen verbergen. Eine Vier-Kolben-Anlage sorgt für überzeugende Bremsmanöver, aber dazu später mehr.
Hinten sticht bestaunt man besonders eins: Die Akrapovic Auspuff-Anlage mit ihren zwei Endrohre ist groß dimensioniert, wirkt aber nicht übertrieben. Das könnte man fast vom Sound behaupten. Wer die Sporttaste betätigt, muss damit rechnen von seinen Nachbarn für den vielen Krach gescholten zu werden. Automobil-Freunde werden hingegen ihren Spaß daran haben, wie rotzig der 1.4er Turbo aus den Endrohren bellen kann – einfach unglaublich, welche Stimmgewalt dieses Maschinchen hervorbringt. Da missachtet man glatt den großen Dachspoiler oder die ab der B-Säule abgedunkelten Scheiben.
Besonders hübsches Detail des gerade einmal 3,66 m kurzen Flitzers: Der unter einer Klappe versteckte Tankdeckel. Jener ist aus Alu gefräst, massiv und mit einem Abarth-Logo versehen. So macht Tanken etwas mehr Spaß. Die geringen Abmessungen, wir sprechen von 1,63 m Breite und 1,48 m Höhe, machen das kleine Geschoss zudem handlich und besonders City-kompatibel. Die 1.120 Kilogramm bereiten dem Vierzylinder darüber hinaus wenig Probleme beim Vortrieb.
Kommen wir aber zunächst zum Innenraum. Sportliche Attribute trägt der kleine Italiener nicht nur am Exterieur, sondern auch innen – und zwar nicht zu knapp. Da wären etwa die Sabelt-Sitze, die für kräftige Hüften reichlich eng geschnitten sind. Dafür bieten sie einen sehr guten Halt und gefallen auch dem Auge dank ihrer in Carbon verkleideten Rückseite. Die Gurt-Durchführung erlaubt die Montage von Renngurten. Dabei sind die zwar optionalen, dafür aber sehr coolen, roten Dreipunkt-Gurte doch total klasse!
Schade hingegen, dass die Einstellmöglichkeiten im Abarth 595 Esseesse reduziert sind: Es finden sich weder eine Sitzhöhenverstellung, noch eine Gurt-Höhenverstellung. Dazu ist das Lenkrad nur in der Höhe verstellbar. Besonders Größere werden mit einer guten Sitzposition hadern. Nicht scheitern soll es hingegen an sportlichen Insignien: mehr Sicht-Carbon findet sich überall im Innenraum. Dazu Alcantara, wie etwa auf der Instrumenten-Hutze und teilweise am Lenkrad. Dazu viel Alu-Look, also hochglänzend überzogener Kunststoff. Tut der Optik gut und dem Qualitätseindruck keinen Abbruch.
Schön bei einem sportlichen Fahrzeug, wie dem Abarth 5959 Esseesse: Die klassische Handbremse! Und auch der Voll Alu-Schaltknauf schmeichelt dem Auge. Der Hand hingegen weniger, da er bei kalten Temperaturen alles, nur kein Handschmeichler ist. Bei Hitze schmilzt die Handfläche gefühlt auf ihm. Unverständlich scheinen darüber hinaus weitere Punkte: Warum hat der Abarth 5959 Esseesse nur fünf Gänge, warum hat der Rückwärtsgang keine Sperre gegen versehentliches Einlegen bei 180 Sachen und warum sind die Fensterheber in der Mittelkonsole angebracht? Klar, Letzteres ist nur eine Übungssache, aber der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier.
Schön hingegen, dass der Abarth 5959 Esseesse noch über einen klassischen Schlüssel verfügt. Das Gefühl beim Umdrehen und Motorstarten wird ein Startknopf wohl nie ersetzen können. Eine andere Welt: Das digitale Kombi-Instrument. Es lässt sich jederzeit gut ablesen und kommt in zwei verschiedenen Designs, je nachdem, ob man den Sportmodus aktiviert. Satt klingt dabei das Beats Audio-System und stemmt sich gegen den knurrigen Klang des Auspuffs. Ein Dreh an den Drehreglern des Infotainment – diese wurden netterweise nicht weggespart – und man hat die Wahl, ob Adriano Celentano aus den Boxen, oder Joe Satriani aus den Endrohren schallt.
Wie sieht es mit den Platzverhältnissen aus? Vorne ok, wenn auch für Große schwierig. Auf der Rückbank aber kaum vorhanden. Selbst für Kinder ist der Raum knapp. Besser, man klappt direkt die Rücksitzlehnen um und erweitert den Basis-Kofferraum von 185 Litern auf ein Wochenend-Einkauf-taugliches Volumen.
Nun aber zum Herzstück des Abarth 595 Esseesse, dem 1.4 Liter Vierzylinder. Das kleine, per Turbolader zwangsbeatmete, Aggregat stemmt 132 kW/180 PS und 250 Nm bei 3.000 U/min auf die Vorderachse. Die Kraftübertragung übernimmt – wie erwähnt – ein Fünfgang-Getriebe. Und wenn man das Spiel mit Kupplung und Gas geschickt beherrscht, schafft man es in 6,7 Sekunden auf 100 km/h. Schluss ist bei 225 km/h, aber das will man wirklich nur einmal ausprobieren. Und zwar nur, um zu wissen, ob der Abarth 595 Esseesse seine Höchstgeschwindigkeit wirklich erreicht. Ja, schafft er. Die weiteren Erfahrungen mit diesem Speed kommen im Fahreindruck-Check.
Hier gehören noch Werte, wie der Verbrauch genannt: Das Prospekt verspricht 6,8 Liter auf 100 km und diese sind mit Bedacht auch erreichbar. Wer Spaß mit dem Abarth 595 Esseesse hat – und dafür ist er ja auch gedacht – wird 8,5 Liter ernten. Der 1.4er tönt also nicht nur wie ein Großer. Gut, dass er dafür die Euro-6d Temp Abgasnorm erfüllt. Und eine hübsche Motor-Abdeckung inklusive Skorpion hat er auch. Klar dürfte darüber hinaus sein, dass der Raum unter der kleinen Motorhaube nicht luxuriös bemessen ist: Hier liegt alles eng beieinander. Doch an das Wichtigste, wie etwa die Scheiben-Wischwasser-Tanks, kommt man gut heran.
Also: Kann der Abarth 595 Esseesse mehr, als nur laut bellen? Sagen wir es so: Der Sport-Floh verfügt über ein Koni Fahrwerk mit „Frequency-Selective-Damping“ (FSD), das sich automatisch an die Straßenverhältnisse anpasst. Und das in einem Kleinstwagen! Mittels Sporttaste wird nochmal nachgewürzt:
Motoransprechverhalten, eine Drehmomentsteigerung von 10-15 Prozent, eine direktere Lenkung und – na klar – der heiserere Klang der Auspuff-Anlage stimmen auf Alarm ein. Dazu lässt das ESP mehr Spieltrieb zu, ohne komplett deaktiviert zu sein. Sprich: Ja, der Abarth 595 Esseesse kann richtig viel Spaß bereiten. Die Straßenlage ist super, das Fahrwerk top und die Schaltung kurz und knackig! Der Wendekreis ist zwar etwas groß, doch was stört das beim Kurven-Wetzen auf der Landstraße?
Hergehört: Genau das ist das beste Einsatzgebiet für den potenten Fiat 500 aka Abarth 595 „komm´ jetzt esse´“: Landstraße! Man kann so herrlich viel Spaß beim Sezieren der Biegungen haben, Geraden zum kurzen Augenzwinkern verkommen lassen und sich nochmal so richtig jung fühlen. Die 225 Sachen Topspeed sind Makulatur. Bei diesem Tempo schnüffelt der Abarth 595 Super Sport – Esseesse steht für das italienische „SS“, also Super Sport – Spurrillen hinterher, wie ein Welpe seinem ersten Knochen! Außerdem wird man auf der Autobahn permanent unterschätzt und muss die angeflogene Kanonenkugel permanent mit den dicken Brembos zusammenstauchen. Und das ist kein Vergnügen – trotz sauberem Druckpunkt und guter Dosierbarkeit.
26.690 Listenpreis. Huch!?! Für einen Kleinstwagen? Und das Beats Audio-System? Die roten Gurte? Der Fahrspaß? Gehen extra? Nein, der Fahrspaß nicht, der Rest schon. Macht also unter dem Strich rund 28.000 Euro. Das jüngere Ich hätte geschluckt, aber den Kaufvertrag dennoch unterschrieben, schließlich bringt so wenig Auto selten so viel Spaß. Um aber wieder bei der Vernunft anzukommen: Man kann ja mal nach jungen Gebrauchten schauen…
Wer das Geld hat und sich einen echten Spaßbringer in die Garage stellen möchte, bitte hier einmal einsteigen! Der Abarth 595 Esseesse macht so viel Spaß, dass man sich in Zeiten von Elektro-Mobilität und immer strengeren CO2-Emissionen schon wirklich schlecht vorkommt. Zumal die Akrapovic-Anlage diese Unvernunft auch an weit und breit herausbrüllt. Die allgemeingültige Entschuldigung? Ist doch nur ein kleiner 1.4 Liter Motor…
Dass der Abarth 595 Esseesse nicht zum Alltagshelden taugt, weil er für den Kindertransport zu wenig Platz hat, für die Schwiegermutti zu hoppelig ist und der Freundin aufgrund der Klangkulisse vielleicht zu peinlich ist, sollte man bedenken. Und bei entsprechendem Budget einfach ignorieren. Solch einen Freudenbringer kauft man nicht für die Liebste oder die Kids, sondern für sich selbst. Für sonntags. Morgens. Wenn niemand auf der Lieblings-Landstraße unterwegs ist.
Zuletzt aktualisiert: Mai 2020
Jens Stratmann
Automobil-Journalist
Baujahr 1979, technisch im einwandfreien Zustand! Nach einer Ausbildung und über elf Jahren Erfahrung im KFZ-Bereich, machte Jens seine Passion zu seinem Beruf. Jens schreibt Beiträge über Neu- und Gebrauchtwagen, die auf persönlichen Erfahrungen und Fahrtests zu dem jeweiligen Auto basieren.
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