Auf sage und schreibe zehn Generation Honda Civic kann die japanische Traditionsmarke mittlerweile zurückblicken. Zehn Generationen, in denen Honda Erfahrungen mit dem Kompaktwagen-Markt sammeln konnte und festgestellt hat, dass man auch mal einen anderen Weg, als den konventionellen einschlagen kann. Seit der achten Generation des Honda Civic brachen die Japaner mit der Langeweile und setzen seither auf ungewöhnliche Formen. Auch die aktuelle, zehnte Generation gibt sich ungewöhnlich. Fährt der japanische Kompakte mit dem neuen 1.5 Liter VTEC Turbo-Benziner auch so?
Der Honda Civic 1.5 VTEC Turbo im Drivecheck
Beim Design hat sich Honda entschieden, einen eher ungewöhnlichen Weg zu gehen. Die zehnte Generation, die zum ersten Mal auf dem New Yorker Autosalon 2015 gezeigt wurde, polarisiert wie kaum ein zweiter Kompakter. Grund dafür ist vor allem die Abkehr vom klassischen Steilheck, das in der Kompaktklasse stark verankert ist. Stattdessen setzt der Honda Civic lieber auf eine Limousinen-artige Bauform und langgestreckte Proportionen. Und der Schein trügt nicht: Der Japaner ist mit knapp 4,52 Metern stolze 27 Zentimeter länger, als der Klassenprimus – der Volkswagen Golf VII. Damit verlässt der Civic nahezu das Kompaktklasse-Format, möchte formal aber dennoch dazu gehören.
An der Front erwartet den Betrachter eine angespitzt-grimmige Nase mit zwei Augen, die angriffslustiger kaum sein könnten. Einzige Steigerungsform, die vorstellbar aber nicht StVO-konform wäre, wären Frontscheinwerfer in feurigem Rot. Dabei ist Strahlen das Stichwort: Der zum Test angetretene Honda Civic fuhr mit Voll-LED-Scheinwerfern vor, die nicht nur die Nacht zum Tag machen, sondern den diabolischen Blick nochmals nachschärfen. Eingerahmt von einem schwarz-hochglänzenden Kühlergrill, kann selbst die unschuldig-weiße Lackierung der restlichen Karosserie nicht von der Aggressivität der Front ablenken. Mit Verlaub: Einfach geil!
Noch ganz verzückt von der ausdrucksstarken Front des Honda Civic enttäuscht die Seitenlinie hingegen ein wenig. Die schiere Größe des Autos wirkt harmonisierend, nimmt viel von der Spannung. Da hilft auch die stark ansteigende, untere Sicke wenig. Spannend ist hingegen, dass die werksseitig montierten 17-Zoll-Leichtmetallfelgen in ihrem Bi-Color-Look mindestens eine Nummer größer wirken – das kann so bleiben. Das sanft abfallende Heck hingegen trifft – besonders mit seiner zweifachen Bespoilerung – nicht jeden Geschmack.
Zum einen sitzt ein kleiner Spoiler am Übergang des Dachs ins Fließheck und erinnert an die 1990er, in denen jede Möglichkeit für ein Anbauteil genutzt wurde. Der zweite Spoiler stellt sich in Form einer ins Heck integrierten Abrisskante dar, die die Heckscheibe ungünstig in zwei Teil aufbricht. Überhaupt passiert viel am Heck: Neben den C-förmigen, ausladenden Rückleuchten und dem durchgezogenen Leuchtenband, wartet eine ausladende Heckschürze darauf, die Blicke auf sich zu ziehen. Das gelingt besonders durch den mittigen Doppelrohr-Auspuff gut.
Der Honda Civic ist nicht nur von außen eine Art Raumschiff, sondern auch von innen. Man fühlt sich direkt wie der Commander eines futuristischen Space-Shuttles, was der Ausstattung mit verschiedenen Displays zu verdanken ist. So blickt man auf digitale Instrumente, die sich – im Gegensatz zu den beiden Vorgänger-Generationen – auf Anhieb gut ablesen lassen. Schade nur, dass sie nicht individualisierbar sind und etwa die Navigationskarte anzeigen können. Die Individualität beschränkt sich hier auf das Ändern der Hintergrundfarbe sowie die Auswahl des Bordcomputers. Dennoch, die Ablesbarkeit passt wieder!
Das Bedienkonzept des Navigationssystems zeigt sich ebenfalls recht stimmig, wenn auch nicht in allen Punkten. Grundsätzlich kann man schnell mit der Menüstruktur zurechtkommen, nur stört die Abwesenheit eines Drehreglers für die Lautstärke. Störend außerdem: Der ständige Bestätigungszwang der Botschaft, dass man das Infotainment nur bedienen dürfe, wenn es die Verkehrslage zulasse. Danke Mutti!
Angenehm und dem sportlichen Anspruch entsprechend zeigt sich hingegen die Sitzposition hinter dem Lenkrad. Alles lässt sich optimal einstellen, sodass man schön tief in den gut gepolsterten Sitzen platznimmt. In Reihe zwei steht ebenfalls genügen Raum zur Verfügung, um es zu zweit über längere Strecken auszuhalten. Zumal man sich mit dem Gepäck nicht unbedingt beschieden muss: 420 Liter Basisvolumen sind ein echtes Wort! Maximal sind es 1.209 Liter. Skurril: Die Gepäckraumabdeckung in Form eines Rollos, das seitlich betätigt wird und sowohl links-, wie auch rechtseitig in der Gepäckraumwand verankert werden kann. Fummelig ist diese Lösung obendrein. Dass die Rundumsicht konzeptbedingt nachteilig ausfällt dürfte hingegen nicht verwundern. Angenehmerweise gibt es dafür eine Rückfahrkamera.
Als Triebwerk stand ein 1.5 Liter großer Vierzylinder mit Turbolader und der berühmt berüchtigten, variablen Ventilsteuerung VTEC bereit. Das Aggregat generiert stramme 134 kW/182 PS bei 5.500 Umdrehungen in der Minute und stellt sein maximales Drehmoment in einem sehr breiten Plateau bereit. 240 Nm liegen stets zwischen 1.900 und 5.000 Umdrehungen an – beeindruckend! Laut Hersteller soll sich der Civic mit durchschnittlich 5,8 Litern begnügen, zum tatsächlichen Verbrauch aber später mehr. Schließlich zählen bei diesem, bereits in der Papierform sportlichen Aggregat eher die Fahrleistungen. Und diese können sich sehen lassen: Auf 100 km/h vergehen 8,2 Sekunden, maximal sind bis zu 220 km/h drin. Zur Kraftübertragung dient entweder ein schön knackig zu schaltendes Sechsgang-Handschaltgetriebe oder eine CVT-Automatik. Der Vorzug ist klar der klassischen Schaltung zu geben.
Neben dem kräftigen 1.5 Liter Benziner steht noch ein 1.0 Liter Dreizylinder bereit, der dieselbe Getriebewahl zulässt, wie sein stärkerer Bruder. Das Einstiegsaggregat entwickelt 95 kW/129 PS und immer noch stolze 200 Nm. Zur Erinnerung: Es geht hier um einen Dreizylinder-Benziner mit 998 ccm Hubraum! Daraus soll ein Werksverbrauch von kombinierten 4,8 Litern resultieren, während die Fahrleistungen mit 10,4 Sekunden für den Standard-Sprint und 204 km/h Topspeed angegeben sind. Ein Diesel? Aktuell nicht vorgesehen.
Um das Motorenkapitel wieder aufzugreifen: 5,8 Liter Durchschnittsverbrauch mögen vielleicht bei absoluter Schleichfahrt möglich sein, aber dafür ist der Honda Civic einfach nicht gemacht. Zu sehr kitzelt es im rechten Fuß, das Gaspedal bis ins Bodenblech zu drücken. Zu sehr fordert die rechte Hand ihr Recht auf zügig-knackige Gangwechsel. Zu sehr fordert der Vierzylinder nach mehr, mehr, mehr. Und so kam es, dass der Honda Civic stets zügig bewegt wurde. Dennoch verkniff er sich Saufgelage: Im Stadtbetrieb standen rund sieben Liter Durchschnittverbrauch im Bordcomputer, während bei schnellen Autobahnetappen beschauliche 8,4 Liter auf 100 km verbrannt wurden. Und die Rede ist hierbei von Tempi zwischen 170 km/h und open End… Wirklich störend ist nur der kleine Tank mit seinen 46 Litern.
Es ist also an dieser Stelle bereits klar, dass der Honda Civic ein sportlicher Zeitgenosse ist – und schon immer war. Entsprechend zielgenau und gefühlvoll gibt sich die Lenkung, die viel Freude beim Sezieren von Landstraßenpartien bereitet. Wäre da nicht das Fahrwerk mit seinem adaptiven Dämpfersystem. Im Stadt- und Überlandbetrieb geht der Normal-Modus in Ordnung, zeigt er nur dann und wann Nachwipp-Tendenzen. Schaltet man auf Sport, knallen einem Kanaldeckel und Frostaufbrüche schonungslos in den Rücken und auf die Nerven. Alles akzeptabel, da man noch die Wahl hat. Auf der Autobahn kann man seine Rechte aber gleich auf dem Schalter für die Fahrwerksregelung belassen, da man wahllos hin- und herschaltet. Die Tendenz zum Nachwippen- und schaukeln verstärkt sich im Komfortmodus linear zum ansteigenden Tempo. Wählt man den Sportmodus, wippt der Honda Civic zwar nicht nach, doch hoppelt er über die scheinbar ebene Fahrbahn, wie man es von extrem tiefergelegten Fahrzeugen kennt. Irgendwann resigniert man schließlich und wählt eine der beiden Abstufungen.
Wer sich in die aufregende Optik des Honda Civic verliebt hat, kann den 1.0 VTEC Turbo bereits ab 19.990 Euro bestellen. Einzig eine Klimaanlage fehlt hier. Dafür ist eine ganze Armada an Assistenzsystemen serienmäßig an Bord. Von der Verkehrszeichenerkennung, über einen Spurhalteassistenten, einen Kollisionswarner, Lichtsensor, Tempomaten mit Abstandsregelung sowie einen Fernlichtassistenten ist alles dabei – erstaunlich. Stattet man einen Golf so aus, dass er auf Augenhöhe rangiert, muss man tiefer in die Tasche greifen.
Der 1.5 VTEC Turbo hingegen kostet mindestens 27.960 Euro, ist dafür aber nahezu vollausgestattet. Die Sport-Ausstattung hält sowohl 17-Zoll-Leichtmetallfelgen, eine Bluetooth-Freisprecheinrichtung, eine Einparkhilfe rundum, das 7-Zoll-Infotainment-System, inklusive Navigation, Android Auto, Apple CarPlay, eine Klimaautomatik, Rückfahrkamera und Voll-LED-Scheinwerfer bereit. Und damit wären nur einige Annehmlichkeiten einer langen Liste an serienmäßigen Extras genannt. Hier wird der Honda Civic dem Ruf eines japanischen Fahrzeugs absolut gerecht.
Der Honda Civic macht so vieles richtig, verlangt an einigen Stellen aber auch viel von seinen Passagieren. So macht sein Antrieb unfassbar viel Spaß, begeistert mit seiner Turbo-untypischen Drehfreude und den guten Fahrleistungen. Zumal der Verbrauch vollkommen im Rahmen bleibt, betrachtet man das sportliche Potential. Andererseits enttäuscht das adaptive Fahrwerk, das in der Sport-Ausstattung nicht, dafür in der Sport Plus-Ausstattung enthalten ist. Hier heißt es also clever zu sein bei der Wahl. Wer sich für die Basis entscheidet, sollte zudem wissen, dass man eine Klimaanlage weder für Geld noch für warme Worte bekommt. Man muss schon zur nächsthöheren Ausstattung „Comfort“ greifen.
Und auch die ein oder andere Eigenheit im Alltagsnutzen, die der Form geschuldet ist, kann etwas aufstoßen. Allerdings werden sich nur Konformisten an den Ecken und Kanten des Honda Civic stoßen, die eine eierlegende Wollmilchsau suchen, die kaum Charakter bietet. Jenen bietet der Civic hingegen zu Genüge.
Zuletzt aktualisiert: Dezember 2017
Jens Stratmann
Automobil-Journalist
Baujahr 1979, technisch im einwandfreien Zustand! Nach einer Ausbildung und über elf Jahren Erfahrung im KFZ-Bereich, machte Jens seine Passion zu seinem Beruf. Jens schreibt Beiträge über Neu- und Gebrauchtwagen, die auf persönlichen Erfahrungen und Fahrtests zu dem jeweiligen Auto basieren.
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