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Fußball auf einem Bein
Unser Kollege Jürgen Menger trainiert eine Amputierten-Mannschaft – die jetzt Deutscher Meister wurde. Zu diesem ungewöhnlichen Ehrenamt kam er durch einen tragischen Unfall seines Sohnes, der dabei den linken Unterschenkel verlor.
Von Tanja Heeren und Frank Senger
Der wohl erfolgreichste Tag in seiner Trainer-Karriere war für Jürgen Menger der 12. Oktober 2024. Da besiegte seine Mannschaft, der FSV Mainz 05, den Hamburger SV mit 1:0 im Finale und wurde Deutscher Meister im Amputierten-Fußball. Ein absolutes Highlight in seinen bisher zwei Jahren als Coach dieser Mannschaft. Jürgen Menger ist ehrenamtlicher Trainer der Mainzer Amputierten-Mannschaft, hauptberuflich wickelt er Wertpapiertransaktionen und Termingelder im Finanzressort der R+V in Wiesbaden ab.

Zu dem ungewöhnlichen Trainerjob kam er durch den tragischen Unfall seines Sohnes Robin. Der damals 24-jährige verunglückte 2021 am Mainzer Hauptbahnhof. Der begeisterte Fußballer überlebte zwar glücklicherweise den Unfall, verlor jedoch seinen linken Unterschenkel. „Das war eine Tragödie, die ganze Familie stand lange unter Schock“, berichtet Jürgen Menger. „Zum Glück hat unser Sohn sehr schnell seinen Lebensmut wiedergefunden und entschieden: Ich will trotzdem weiter Fußball spielen.“ Zufälligerweise bildete sich gerade in Mainz eine Amputierten-Mannschaft, in der Robin mitspielen konnte. Allerdings hatte diese Mannschaft noch keinen festen Trainer, für viele Übungsleiter war Amputierten-Fußball zu außergewöhnlich.
Drei Jahre Profi beim SC Freiburg
Kurzerhand übernahm der Vater den Trainerjob. Ausreichend fußballerischen Sachverstand brachte Jürgen Menger mit. Mitte der 80er Jahre spielte er drei Jahre als Profi beim SC Freiburg und trainierte viele Jahre Mannschaften bis zur 4. Liga. „Beim SC Freiburg war ich damals mit Joachim Löw, dem ehemaligen Bundestrainer, in einem Team“. Allerdings gab es damals im Profifußball nicht so viel Geld zu verdienen, schon gar nicht im Breisgau. Deshalb hörte Jürgen Menger auf den Rat seines Vaters, der Vorstand einer Volksbank war. Er kündigte seinen noch laufenden 2-Jahresvertrag beim SC Freiburg und wechselte wieder in seinen Ausbildungsberuf als Bankkaufmann. Schließlich landete er bei der R+V, bei der er inzwischen 37 Jahre lang arbeitet und ein Jahr vor dem Ruhestand steht.
Beim Amputierten-Fußball ist Deutschland Entwicklungsland
Wenn er keine Transaktionen für die R+V abwickelt, gehört Jürgen Mengers Herz ganz dem Fußball. Dann macht er das, was jeder andere Coach auch macht: Training vorbereiten, Kontakt mit den Spielern halten und Spiele planen. „Wir trainieren allerdings nur zwei Mal im Monat. Denn viele Spieler reisen von weit her an, zum Teil mehr als 150 Kilometer“, berichtet der Hobby-Trainer. Der Grund: Amputierten-Fußball ist ein absoluter Nischen-Sport. „Es gibt in Deutschland nur fünf Mannschaften, da haben Interessierte wenig Auswahl.“
Spieler und Trainer verdienen kein Geld, auch wenn einige Teams unter dem Dach bekannter Vereine wie Mainz 05, Fortuna Düsseldorf oder HSV spielen. Die Anreisen und Aufenthalte an den Spieltagen werden von diesen Vereinen zwar übernommen, der Ligabetrieb aber wird von eingehenden Spenden beziehungsweise von Sponsorengeldern finanziert. Hier ist trotz vieler Initiativen wenig Geld zusammengekommen. „Diese Gelder wurden für die Teilnahme unserer Nationalmannschaft für die EM 2024 in Frankreich verwendet“, berichtet Jürgen Menger. „Im Gegensatz zu anderen Ländern wie etwa der Türkei, wo der Sport staatlich gefördert wird, ist Deutschland absolutes Entwicklungsland.“
Das rund 15 Spieler zählende Team von Mainz 05, darunter auch Deutschlands einzige Amputierten-Fußballerin, hat seine Spiel- und Trainingsstätte im Winzerort Essenheim bei Mainz. Das Training selbst beschreibt Jürgen Menger als „eigentlich ganz normal“: Passübungen, Bewegungsabläufe und Spielzüge. „Natürlich muss ich sehr viele Übungen anpassen. Alle Feldspieler laufen auf Krücken, da wird die Armmuskulatur sehr stark beansprucht.“
Spielregeln weichen ein wenig von den bekannten Fußballregeln ab
Die Spielregeln beim Amputierten-Fußball weichen von den bekannten Fußballregeln zum Teil ab, beispielsweise gibt es kein Abseits. Das Spielfeld in Deutschland ist 40 mal 20 Meter groß, gespielt wird zwei Mal 20 Minuten mit 4 Feldspielern und einem Torwart. International sind Spielfelder (60 x 40 m) und Mannschaft (6+1) größer. Dort beträgt die Spielzeit auch zwei Mal 25 Minuten. Die Feldspieler dürfen nur ein Bein haben, der Torwart dagegen zwei Beine, aber nur einen Arm. Prothesen sind beim Spiel nicht erlaubt. Die absichtliche Ballberührung mit der Krücke zählt als Handspiel. (Mehr zu den Regeln in diesem ►Film des WDR.) https://kinder.wdr.de/tv/neuneinhalb/av/video-amputierten-fussball-100.html
Das Besondere bei der Arbeit mit seinem Team sei die Lebensgeschichte der Spieler, sagt Jürgen Menger. „Jeder im Team hat durch Unfall, Krankheit oder von Geburt an eine Behinderung. Aber alle sind mit Herz und Leidenschaft dabei. Die Amputierten-Mannschaft ist für sie die einzige Möglichkeit, ihren Lieblingssport auszuüben.“ Viele haben nach einem Schicksalsschlag über den Fußball zurück ins Leben gefunden. Das schweißt sie zusammen. „Die Amputierten-Fußballer in ganz Deutschland sind eine große Familie.“
Nächstes Jahr Champions League
Die Trainings- und Spielbelastung bei ihrem Lieblingssport dürfte für die Spieler und die Spielerin von Mainz 05 im kommenden Jahr noch steigen. Denn mit dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft haben sie sich für die Champions League qualifiziert. „Im Ausland, etwa in England, Polen oder der Türkei, hat der Amputierten-Fußball einen viel höheren Stellenwert“, berichtet Jürgen Menger. Folglich sind auch die Mannschaften dort stärker. „Aber auf diese Herausforderung freuen sich alle riesig. Sofern wir die Kosten zusammenbringen, wäre der FSV Mainz 05 die erste deutsche Mannschaft, die an diesem Wettbewerb teilnimmt. Das wollen wir bewerkstelligen und dafür kämpfe ich.“
Der Amputierten-Fußball in Deutschland
Weitere Informationen rund um den Amputierten-Fußball in Deutschland gibt es auf der Homepage des Verbandes unter ►www.amputierten-fussball.de. Dort steht auch die Bankverbindung für Spenden an die als gemeinnützig anerkannte Organisation.
Die Amputierten-Mannschaft des 1. FSV Mainz 05: ►Hier gibt es weitere Infos zur Mannschaft.