05Okt2023 Rein geschäftlich

    Der R+V-Chefvolkswirt zur Wirtschaftslage

    Die Zentralbanken bekämpfen die Inflation, der Zinsschock ebbt ab, die Bankenkrise ist ausgeblieben - doch die Wirtschaft hat an Fahrt verloren.

    Von Uwe Siegmund

    Wir sind umzingelt von negativen Nachrichten. Deshalb möchte ich mit den positiven volkswirtschaftlichen Entwicklungen beginnen: Die Inflationsspitzen sind überschritten. Wir reden nicht mehr über 10 Prozent, sondern „nur noch“ über 5 Prozent Inflation. Die Zentralbanken haben ihren Job getan, nämlich die Inflation ernsthaft zu bekämpfen. Wer hätte noch vor nicht allzu langer Zeit gedacht, dass die EZB zehnmal hintereinander die Zinsen auf mehr als 4 Prozent erhöht. Der Zinserhöhungszyklus neigt sich dem Ende zu, heißt der Zinsschock ebbt ab.

    Auch die Wirtschaft hat hart gearbeitet – bei so vielen Krisen von Corona über den Ukrainekrieg, erratischen Energie- und Rohstoffpreisen bis zu steigenden Löhnen und Finanzierungskosten. Eine befürchtete Bankenkrise in den USA oder der Schweiz ist ausgeblieben. Es gibt neue technologische Durchbrüche, die an den Aktienmärkten heiß gehandelt werden und nicht nur Zerstörungs- sondern vor allem Wachstumspotential haben. Und ja, auch die Politik wendet sich zunehmend den strategischen Themen zu, obwohl deren Umsetzung unbefriedigend ist.

     

    Deutschland rutscht in die Rezession

    Zu den negativen Entwicklungen gehört, dass am Ende die deutsche Wirtschaft doch in eine Rezession gegangen ist und die europäische Wirtschaft deutlich an Fahrt verloren hat. Dies war fast zwangsläufig, weil hohe schnelle Zinssteigerungen zumeist dazu führen. Aber auch der Rückgang der Exportnachfrage in der Welt hat dazu beigetragen. In Amerika sieht der Wachstumsrückgang nur deshalb besser aus, weil er mit viel staatlichem Geld eines nunmehr dritten 1-Billion-USD-Finanzpaketes gestützt wurde.

    Und auch bei der Inflation ist eine vollständige Entwarnung noch zu früh, denn der unterliegende Druck bleibt hoch, man denke nur an die angespannten Arbeitsmärkte und an die Rohstoffpreise, wenn das Wachstum wieder anzieht. Der Ukrainekrieg hat bisher zu keiner Waffenruhe oder gar zu einem Frieden geführt.

    Neu aufgetaucht ist das Konjunkturrisiko China. Neben den strukturell bekannten Belastungen wie Demografie, Staatseingriffe und Handelskonflikt kamen das Platzen einer Immobilienblase und deflationäre Tendenzen hinzu.

     

    Ist das Glas halb voll oder halb leer?

    Die Glas-halb-voll-halb-leer-Frage beantworte ich mit halbvoll, denn Zentralbanken und Regierungen wissen sehr gut, wie sie mit Inflation umgehen müssen. Dies habe ich in vielen Vorträgen anhand der 1970/80er Jahre – also der letzten großen Inflationszeit – immer wieder erläutert.