30Aug2023 100 Jahre

    Menschen verbinden mit Musik

    Bei diesem MissionMiteinander-Projekt spielen Alter, sozialer Status und Herkunft keine Rolle. Menschen, die sich sonst kaum begegnen, genießen einen gemeinsamen Abend im Konzertsaal. Ermöglicht haben das die R+V-ler.

    Von Eva Kuschfeldt

    Eine ungewöhnliche Truppe schreitet über den roten Teppich der Hamburger Laeiszhalle, einem der ältesten Konzerthäuser der Stadt: Vier Schülerinnen, eine Seniorin und eine Mutter haben an diesen Samstagnachmittag Karten für den georgischen Pianisten Giorgi Gigashvili. Viele von ihnen könnten sich diese Veranstaltung aus eigener Tasche nicht leisten. Dass sie alle trotzdem hier sind, verdanken sie dem Projekt „Renate trifft Maksym“ – und den R+V-lern, die dieses Projekt im Rahmen der MissionMiteinander unterstützt haben.

    Gemeinsam mit einer Übersetzerin erleben Teilnehmer wie die Seniorin Sigrid, die Schülerin Emma und die ukrainische Mutter Liliia heute Kultur, die verbindet anstatt zu trennen wie es Sprache, Alter oder Geld im Alltag oft tun. Dabei lernen sie Menschen kennen, mit denen sie sonst wenig bis gar nichts zu tun haben. „Musik verbindet einfach, das funktioniert über alle Sprachen hinweg“, sagt Projektinitiatorin Christine Worch.

    Schon neun Mal haben ungewöhnliche Begegnungen wie diese stattgefunden – in immer wieder neuen Konstellationen. Einen guten Teil der Treffen und der Organisation drumherum finanzierte die MissionMiteinander mit 15.000 Euro. Zur Erinnerung: Die R+V hatte zu ihrem 100. Geburtstag im Jahr 2022 insgesamt 1,6 Millionen Euro für Projekte bereitgestellt, die eine bessere Zukunft schaffen. Die R+V-ler konnten für ihr Lieblingsprojekt abstimmen – und je mehr Kolleginnen und Kollegen einem Projekt ihre Stimme gegeben haben, desto höher fiel die finanzielle Unterstützung aus.

    Musik verbindet einfach, das funktioniert über alle Sprachen hinweg.
    Christine Worch
    Projektinitiatorin
    Programmheft mit Autogramm: Wie es dazu kam, steht unter dem übernächsten Foto.
    Zufälliger Kontakt

    Projektinitiatorin Christine Worch ist Gründerin und Geschäftsführerin von KulturistenHoch2. Der Kontakt zur R+V entstand über die Weihnachtsspendenaktion, bei der die Mitarbeitenden an den R+V-Standorten Jahr für Jahr Gelder an gemeinnützige Organisationen spenden, die vom Vorstand verdoppelt werden. 2021 sah der Hamburger Standortleiter Jan Zeibig einen Fernsehbeitrag über ein anderes generationenübergreifendes Projekt der KulturistenHoch2 und machte sich direkt stark, die Initiative mit den Weihnachtsspenden zu unterstützen. Er war es auch, der Worch mit ihrem aktuellen Projekt „Renate trifft Maksym“ auf die MissionMiteinander aufmerksam machte.

    Die Idee des Projekts mit dem ungewöhnlichen Namen: Senioren und Seniorinnen bringen geflüchtete Kinder und Jugendliche sowie deren Familien auf andere Gedanken, indem sie mit ihnen Kunst- und Kulturveranstaltungen besuchen – und es ihnen damit auch erleichtern, in der neuen Heimat anzukommen. Der Name des Projekts geht auf die 78-jährige Renate Meyer zurück, die eine ukrainische Familie bei sich aufgenommen hatte, darunter den damals 10-jährigen Maksym. „Das Projekt bringt Geflüchtete, Kultur und verschiedene Generationen zusammen – das finde ich sehr wichtig, wenn Menschen in einem fremden Land ankommen“, sagt Standortleiter Zeibig. „In meinen Augen verkörpert das genau die Werte der R+ V.“ Mehr zum Projekt steht auf der Jubiläumsplattform www.mission-miteinander.de.

    „Viele wissen wie es ist, alles zu verlieren“

    Auch Christine Worch begleitet die ein oder andere Gruppe zu den Kulturveranstaltungen – und ist immer wieder berührt von den Geschichten, die sie erfährt. Natürlich wird bei den Konzertbesuchenauch über den Krieg  gesprochen: „Viele unserer Senioren wissen genau, wie es ist, alles zu verlieren und neu anzufangen“, sagt Worch in Anspielung auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. 

     

    Protagonisten auf einem Bild: Maksym, Renate und Christine Worch. Hier bei der Vorstellung des Projekts im Rahmen der MissionMiteinander.

    Schon seit mehr als sieben Jahren verbinden die KulturistenHoch2 mit Konzerten, Museumsbesuchen und Theaterstücken die Generationen: Wer sich im Alter Kultur nicht leisten kann, bekommt von der Organisation das Ticket bezahlt und eine jugendliche Begleitung an die Seite – immer wechselnd, denn: „Die unterschiedlichen Begegnungen tun den älteren Leuten gut, sie gewöhnen sich an die Veränderung. Und hinzu kommt: Im Zusammentreffen mit Jüngeren gestatten sie es sich nicht, die üblichen Themen wie Schmerzen und Gebrechen ständig anzusprechen“, sagt Initiatorin Worch. „Manche sagen sogar, in dieser Gesellschaft werden sie selber wieder jung!“ Viele halten den Kontakt – auch, wenn die Kulturbegegnung beim nächsten Mal eine andere ist.

     

    Sie fragten, ob sie den Pianisten Giorgi Gigashvili treffen dürften – so einfach gelangte die Truppe in den Backstage-Bereich.
    Renate und Maksym: Die ausführliche Geschichte

    Rund 1700 Mal hat Worch so schon die Generationen vereint – und von den mittlerweile mehr als 600 Senioren sind noch immer 30 Teilnehmer der ersten Stunde dabei. Auch eine ältere Dame namens Renate ist unter ihnen. Obwohl sie selbst unter Armut leidet, hat sie eine ukrainische Familie bei sich aufgenommen und direkt ins Herz geschlossen. „Irgendwann kam Renate auf die Idee, die Kultur auch ihrem Flüchtlingskind Maksym zu ermöglichen“, erläutert Worch die Geburtsstunde des interkulturellen Projekts, das sie liebevoll nach seinen beiden ersten Teilnehmern benannt hat. „Das klare Bekenntnis dieser Frau ‚Ich helfe, komme, was wolle!‘ hat mich beeindruckt und dazu animiert, ihre Idee zu unterstützen.“ 

    Es ist sehr schwer, all die wunderbaren Emotionen zu beschreiben, die ich während und nach dem Konzert erlebt habe. Es war göttlich!
    Liliia
    Mutter einer der ukrainischen Schülerinnen

    Wie wichtig Musik nach traumatischen Erlebnissen sein kann, beschreibt Liliia, die Mutter einer der ukrainischen Schülerinnen, nach Gigashvilis Konzert mit dem Zitat eines unbekannten Autors: „Mit der richtigen Musik kannst du alles vergessen … oder dich an alles erinnern.“ Sie fügt hinzu: „Es ist sehr schwer, all die wunderbaren Emotionen zu beschreiben, die ich während und nach dem Konzert erlebt habe. Es war göttlich!“

    Unsichere Zukunft für „Renate trifft Maksym“

    Obwohl nach der Unterstützung der MissionMiteinander ein weiterer Sponsor gefunden wurde, ist die Zukunft für „Renate trifft Maksym“ leider ungewiss. Weil Christine Worch in den Ruhestand geht und ihre Nachfolge als Geschäftsführung noch ungeklärt ist, muss zum Ende des Jahres vielleicht auch das Projekt eingestellt werden. Die KulturistenHoch2 sind im Gespräch mit anderen Organisation, die dieser wertvolle Initiative ein zweites Leben schenken und weiterhin Generationen, Nationen und Kulturen verbinden wollen.