- Startseite
- Newsroom
- Blog
- Trends im Superwahljahr
Trends im Superwahljahr
Unser Chef-Volkswirt, Uwe Siegmund, analysiert die aktuelle Wirtschaftslage - vor dem Hintergrund des weltweiten Superwahljahres 2024.
Von Uwe Siegmund
2024 ist ein weltweites Superwahljahr: Rund die Hälfte der Weltbevölkerung ist zu Wahlen aufgerufen. In der größten Demokratie der Welt mit rund 960 Millionen Wahlberechtigten, in Indien, muss die Regierung Modi ihre Macht erstmals teilen. Bei der Europawahl gingen die konservativen Parteien als Sieger hervor und dominieren damit das Parlament und die EU-Kommission. Die rechten Parteien jedoch konnten erhebliche Zugewinne verbuchen. In Frankreich hat dies zur Regierungskrise geführt, die bis jetzt nicht gelöst ist. In Deutschland wiederum führen die jüngsten Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen aus ähnlichen Gründen zu schwierigen Regierungsbildungen in den jeweiligen Bundesländern. Ganz gegen den Trend wählten die Briten die Labour Partei mit überwältigender Mehrheit. Es gab auch Pseudowahlen wie in Russland oder Venezuela.
Und die wichtigste Wahl steht noch bevor, die des US-Präsidenten. Der Wahlkampf verläuft bislang hochdramatisch. Der republikanische Kandidat (ehemaliger Präsident) wurde rechtskräftig verurteilt und überlebte ein Attentat nur knapp. Die Demokraten tauschten mitten im Wahlkampf ihren Kandidaten aus gesundheitlichen Gründen aus. Statt dem aktuellen Präsidenten Joe Biden tritt nun die Vizepräsidentin Kamala Harris als Kandidatin an.
Aus einer volkswirtschaftlichen Sicht interessant sind darunter liegende Trends und deren Einfluss auf die Wirtschaft. Ich möchte hier drei Punkte nennen:
Erstens greift schon länger in vielen Ländern ein Populismus um sich. Unter Populismus verstehe ich zu große Versprechen an zu viele Wähler. Wirtschaftspolitisch war hier in den letzten Jahren besonders kritisch, dass damit fast immer eine höhere Staatsverschuldung verbunden war, wie zum Beispiel in Italien. Die Niedrigzinsphase und die Politik der Notenbanken mit ihren Anleihekäufen haben vermutlich zu der irrigen Annahme geführt, dass man alles finanzieren kann.
Zweitens ist der Nationalismus wieder in den Vordergrund gerückt. Es läuft bereits eine De-Globalisierungswelle. Das ist problematisch, wenn dies zu Ausgrenzungen von Bürgern (sprich Konsumenten, Investoren, Arbeitskräften) und zu Protektionismus (Zölle, Beschränkungen im Waren- und Dienstleistungsverkehr) führt.
Drittens dominieren sicherheitspolitische Überlegungen alle anderen. Damit einher gehen gewaltige politische und finanzielle Umpriorisierungen. Dies ist notwendig, aber letztendlich bedauerlich, weil es die durch das Ende des kalten Kriegs erlangte Friedensdividende nun nicht mehr gibt. Ein immer größerer Teil des Bruttoinlandprodukts wird für die Verteidigung und innere Sicherheit aufgewendet werden müssen. Das verdrängt Investitionen in andere wichtige Themen, wie zum Beispiel Infrastruktur und Bildung.
Da in Deutschland 2025 Bundestagswahl ist, werden wir verstärkt mit diesen Trends konfrontiert sein. Und das vor dem Hintergrund, dass der auch von mir erwartete Aufschwung ausgeblieben ist. Es bleibt vorerst beim Nullwachstum. Das ist nicht allein der Regierung anzulasten. Denn nach einer beispiellosen Pandemie musste ein Krieg verdaut werden. Als Exportland waren und sind wir von ausbleibender Auslandsnachfrage getroffen und standen einer gigantische Zins- und Inflationssteigerung gegenüber. Das alles ist nicht leicht zu kompensieren. Aber sich als Regierung nur auf die EZB zu verlassen, weiterhin in eher wahltaktischen Kleinmaßnahmen zu verharren und den Sozialstaat gar noch auszubauen, hilft nicht wirklich weiter. Was es bräuchte, wäre derzeit eine Belebung des Konsums, die Anwerbung und Integration von ausländischen Fachkräften, die Entrümpelung von Gesetzen und Verordnungen und eine realistischere Energiepolitik.
Die R+V ist Teil dieser Entwicklungen und Diskussionen. Die politischen Rahmenbedingungen werden sicherlich nicht einfacher. Wir sollten aber weder in Schwarzmalerei, noch in Pflicht-Optimismus verfallen. Realismus ist angesagt.