blind, aktiv, selbstbewusst: Stadtführung durch Speyer
    08Jan2024 100 Jahre

    Blind, aktiv und selbstbewusst

    Wie die MissionMiteinander eine ganz besondere Selbsthilfevereinigung unterstützt.

    VON EVA KUSCHFELDT

    So viele Blindenstöcke auf einmal hat Speyer wohl selten gesehen: Behutsam und bestimmt gleiten sie über das glühend warme Natursteinpflaster der Domstadt. Etwa 30 Menschen mit verschiedenen Seheinschränkungen bildet an diesem heißen Juli-Tag eine ungewöhnliche Stadtführungstruppe.

    Stadtführung für Blinde in Speyer
    Nicht sehen, dafür fühlen, riechen und hören: Die Stadtführer in Speyer wurden vorher geschult, um den Vereinsmitgliedern ein echtes Erlebnis zu bieten.

    „Genau das wollten wir: Farbe bekennen!“ erklärt Wolfgang Schweinfurth. Das Wochenende unter dem Motto „BLIND und AKTIV“ hat er als Regionalgruppenleiter des Vereins PRO RETINA zusammen mit Teammitgliedern der Regionalgruppen organisiert.

    Die Selbsthilfeorganisation fängt Betroffene in vielen Lebenslagen auf und hilft ihnen dabei, ihre Krankheit zu bewältigen und damit zu leben. Auch Schweinfurth selbst ist fast 15 Jahre ohne Augenlicht. Noch viel länger verbindet ihn eine enge Freundschaft mit Christiane Hospice, die bei der R+V als Produktbetreuerin für die Warenkredit- und Kautionsversicherung arbeitet.

    Stadtführung für Blinde in Speyer: Ertasten des Brunnens
    Auch der Brunnen vor dem Dom zu Speyer wird genau ertastet. Die Domstadt hat insgesamt viel Kultur und Geschichte zu bieten.

    Kennengelernt haben sie sich beim Walzer, Rumba und Cha-Cha-Cha – also in einer Zeit, in der er noch sehend war: im Tanzunterricht. Später wurde Hospice gemeinsam mit ihrem Mann Trauzeugin von Wolfgang und seiner Frau Roswitha, dann wurde das Ehepaar Schweinfurth zu Paten des jüngsten Sohnes der Familie Hospice – das Verhältnis ist familiär. „Und deswegen war es mir auch ein Herzensanliegen, die Aktion bei der MissionMiteinander einzureichen“, sagt Hospice. 

    Kurzer Rückblick: Im Zuge der MissionMiteinander hatte die R+V im vergangenen Jubiläumsjahr insgesamt 1,6 Millionen Euro an soziale und gemeinnützige Projekte vergeben, die sich für eine bessere Zukunft einsetzen. Die 17.000 R+V-ler konnten dabei mitbestimmen, wohin genau das Geld fließt.​

    Feldenkrais, Bewegung, Blinde aktiv
    Gehörte neben Schwimmen zum sportlichen Teil des Wochenendes: Feldenkrais, eine Methode, die die Bewegungsfähigkeit verbessern soll.

    Insgesamt 4.000 Euro kamen für PRO RETINA​ zusammen, um ein gemeinsames Wochenende der Vereinsmitglieder in Speyer zu finanzieren. „Die Übernachtungen haben unsere Vereinsmitglieder selbst übernommen, denn wir haben von Anfang an gesagt: Wir wollen nicht so viel Geld, damit andere tolle Vereine und Aktionen auch noch genug bekommen“, stellt Regionalgruppenleiter Schweinfurth klar. „Wir wollten etwas anbieten, bei der auch die Angehörigen dazukommen können. Und wir wollten zeigen, dass wir trotz unserer Seheinschränkung, trotz unserer Blindheit, aktiv sein können.“ 

    Genau das wollten wir: Farbe bekennen!“
    Wolfgang Schweinfurth
    Regionalgruppenleiter des Vereins PRO RETINA
    Mit Betroffenen und Angehörigen ins Gespräch kommen

    Gemeinsam mit seiner Frau Roswitha ist Wolfgang Schweinfurth vor vielen Jahren zu PRO RETINA gekommen: Der Verein half ihnen über ein Seminar, als Betroffener und Partnerin mit der Krankheit umzugehen – so erfolgreich, dass sie sich als Mitglieder mehr und mehr engagierten. Das Konzept hat sie überzeugt: PRO RETINA Deutschland e.V. hat es sich zur Aufgabe gemacht, Blinde bei der Bewältigung des Alltags zu unterstützen, Betroffenen ein selbstständiges Leben zu ermöglichen und die Forschung zu Augenkrankheiten voranzutreiben.

    All das hat das Wochenende in Speyer nun vereint: Neben der Stadtführung gab es zwei Vorträge von einem Facharzt und einem Trainer für Orientierung und Mobilität samt einer Übertragung für weitere Vereinsmitglieder zuhause. Zudem war viel Raum für Gespräche zwischen Bekannten und Unbekannten, Angehörigen und Betroffenen. „Und die Stadtführer in Speyer wurden extra von uns geschult – damit sie bei der Auswahl an Sehenswürdigkeiten darauf achten, dass wir auch etwas zu tasten, vielleicht auch zu riechen und hören hatten“, sagt Schweinfurth.

    „Wenn man so eine Diagnose bekommt, greift man nach jedem Strohhalm“
    Roswitha und Wolfgang Schweinfurth
    Roswitha Schweinfurth (Mitte) kümmert sich um eine stabile Verbindung zu den Zuhörerinnen und Zuhörern zuhause. Hinten links: Regionalgruppenleiter Wolfgang Schweinfurth.

    Die Fachvorträge verfolgten die Teilnehmer gespannt. Hier gab es verlässliche Quellen für weitere Informationen. „Das war uns wichtig, denn insbesondere nach der ersten Diagnose stößt man im Internet schnell auf unseriöse Quellen“, erklärt Schweinfurth. „Zum Glück hat der Facharzt seriöse Internetseiten genannt, damit die Leute nicht auf Scharlatane hereinfallen. Denn wenn man so eine Diagnose bekommt, greift man nach jedem Strohhalm.“

    Projekteinreicherin Christiane Hospice arbeitet bei der R+V als Produktbetreuerin Warenkredit- und Kautionsversicherung
    Hat sich für ihre Freunde stark gemacht: Projekteinreicherin Christiane Hospice arbeitet bei der R+V als Produktbetreuerin Warenkredit- und Kautionsversicherung.

    Eines haben die Teilnehmer auf jeden Fall aus dem Wochenende mitgenommen: „Die Leute haben sich näher kennengelernt und verstanden, dass sie gar nicht alleine sind“, sagt Schweinfurth. „Vielleicht sind auch Freundschaften entstanden.“

    Vielleicht sind auch Freundschaften entstanden.“
    Wolfgang Schweinfurth
    Regionalgruppenleiter des Vereins PRO RETINA
    Die MissionMiteinander und ihre Projekte

    Das Wochenende des Vereins PRO RETINA ist eines von 339 Zukunftsprojekten der MissionMiteinander. Die R+V hatte zu ihrem 100. Geburtstag im Jahr 2022 insgesamt 1,6 Millionen Euro für Projekte bereitgestellt, die eine bessere Zukunft schaffen. Die R+V-ler konnten für ihr Lieblingsprojekt abstimmen – und je mehr Kolleginnen und Kollegen einem Projekt ihre Stimme gegeben haben, desto höher fiel die finanzielle Unterstützung aus.​