„Die Ängste der Deutschen“ im Langzeitvergleich

    Wie haben sich die Sorgen der deutschen Bevölkerung im Lauf der Zeit verändert? Die R+V-Studie „Die Ängste der Deutschen“ ist bundesweit die einzige Umfrage, die die Befindlichkeiten der Bundesbürger über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren dokumentiert. Der Langzeitvergleich zeigt, welche Ängste seit 1992 Jahr für Jahr im Fokus standen und gibt Aufschluss über die Intensität der unterschiedlichen Sorgen.

    Die sieben größten Ängste 1992 bis 2024

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    Mit einem Klick: Übersicht über die größten Ängste der R+V-Studie seit Beginn der Befragung im Jahr 1992: Einfach im blauen Balken auf den Pfeil klicken und das gewünschte Jahr auswählen.

    Der Angstindex – der Durchschnitt aller Ängste

    Der Angstindex – der Durchschnitt aller abgefragten Sorgen – gibt Aufschluss über die Stimmungslage in Deutschland. Einige Erläuterungen zu den bisherigen Spitzenwerten der R+V-Studie:

    - Insolvenzen, ein Reformstau in den Sozialsystemen und mehr als vier Millionen Arbeitslose beunruhigen die Deutschen im Jahr 2003 sehr. Da infolge von 9/11 auch die Terrorangst in die Höhe schießt, steigt der Angstindex in diesem Jahr enorm an. 

    - 2010 verzeichnet die Studie einen erneuten Höchstwert. Auslöser für die wachsende Angst sind alarmierende Nachrichten über die Finanzmarkt- und Währungskrisen sowie Rettungsschirme für überschuldete EU-Staaten.


    - 2016 erschüttern harte Auseinandersetzungen über die Flüchtlingskrise und die Einwanderungspolitik das Sicherheitsbedürfnis der Deutschen.

    - Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise in den Jahren 2020/2021 bleiben die Deutschen erstaunlich gelassen – der Angst-Index bewegte sich unterhalb der 40-Prozent-Marke. 

    - Ukraine-Krieg, Wirtschaftseinbruch und Inflation verunsichern viele Deutsche. Im Jahr 2023 steigt der Angstindex zum zweiten Mal in Folge und erreicht mit 45 Prozent das höchste Niveau seit fünf Jahren. Besonders die Angst vor einem Wohlstandsverlust treibt viele Menschen um. 

    - 2024 nimmt die Inflation stark ab, vorallem wegen sinkender Energiekosten. Auch der Angst-Index fällt – auf 42 Prozent. 
     

    Die Top-Ängste 2009 bis 2024

    Die Zyklen der größten Ängste:

    - Anfang des Jahrtausends bedrücken die Deutschen vor allem wirtschaftliche Sorgen – die Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten erreicht Spitzenwerte. 

    - Als 2010 der Rettungsschirm für überschuldete EU-Staaten in Kraft tritt, rückt die Angst in den Vordergrund, dass die EU-Schuldenkrise teuer für den deutschen Steuerzahler wird. 

    - Unter dem Eindruck der Attentate der IS-Terrormiliz verstärkt sich die Terrorangst 2016 und 2017 enorm. Sie steht zwei Jahre auf Platz eins der Ängste-Skala. 
     

    - 2021 treten wieder wirtschaftliche Ängste in den Vordergrund. Die Mehrheit der Deutschen fürchtet Steuererhöhungen und Leistungskürzungen als Folge der Corona-Politik. 

    - Deutschland verzeichnet 2022 die höchste Inflation seit fast 50 Jahren. Seitdem ist die Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten zurück. Sie führt auch 2024 das Ranking an – trotz sinkender Inflation.

    Steigende Preise beunruhigen viele Deutsche

    Die Furcht vor steigenden Lebenshaltungskosten treibt die Deutschen regelmäßig um. Anfang der 1990er Jahre klettert mit dem Ölpreis das gesamte Preisniveau kräftig nach oben. Gleichzeitig wächst die Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten deutlich. Ihren Höchstwert erreicht sie 2008, als die weltweite Finanzkrise für massive Kurseinbrüche an den Börsen sorgt. Im Verlauf der Langzeitstudie belegt die Angst 14-mal Platz eins, öfter als jede andere Sorge. Auch 2024 führt die Furcht vor steigenden Lebenshaltungskosten das Ranking an – zum dritten Mal in Folge. 

    Auf und Ab bei wirtschaftlichen Ängsten

    Die Angst vor einer Rezession begleitet die Deutschen seit Jahren. Die Terroranschläge von 9/11 und das Platzen der Dotcom-Blase 2002 wirken sich weltweit aus – die deutsche Wirtschaftsleistung sinkt. Gleichzeitig steigt in der Bevölkerung die Rezessions-Angst. Ihren Rekordwert von 70 Prozent erreicht die Furcht nach einem massiven Stellenabbau bei deutschen Großkonzernen. Nach einer kurzen Beruhigung schürt die Finanzmarktkrise in Deutschland erneut die Furcht vor einem Einbruch der Wirtschaft. Weiter befeuert wird sie 2009/2010 zu Zeiten der Euro-Schuldenkrise. Mit Beginn des Ukraine-Kriegs steigt die Angst 2021 erneut spürbar an. 2024 hat knapp jeder zweite Deutsche Angst vor einer schlechteren Wirtschaftslage. 

    Angst vor Euro-Schuldenkrise nimmt ab

    Die hohen Schulden einiger EU-Staaten beschäftigen die Deutschen. Zwischen 2010 und 2014 steigt der Schuldenstand der Europäischen Union, in dieser Zeit haben viele Deutsche große Angst, dass die EU-Schuldenkrise den deutschen Steuerzahler teuer zu stehen kommt. Diese Angst ist über die Jahre tendenziell gesunken – dennoch befürchten 2024 noch 44 Prozent der Befragten negative Auswirkungen. 

    Angst vor Arbeitslosigkeit in Deutschland

    Während die Angst vor eigener Arbeitslosigkeit seit 2005 stetig zurückgeht, beschäftigt die Sorge vor höheren Arbeitslosenzahlen die Deutschen. In der Corona-Krise 2020 rütteln die Anzeichen einer bevorstehenden Insolvenzwelle viele Bürgerinnen und Bürger auf. Nach einer Entspannung am Arbeitsmarkt steigt die Arbeitslosenquote 2023 wieder an. Auf die Angst vor dem Jobverlust und vor bundesweit steigenden Arbeitslosenzahlen wirkt sich das kaum aus. Das Thema Arbeitslosigkeit bedrückt 2024 nur ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger.

    Angst vor dem Verlust des eigenen Jobs

    Wenn Unternehmen massiv Stellen abbauen, fürchten viele Bürger um ihren Job. Ihren Höchststand erreicht die Angst vor eigener Arbeitslosigkeit 2005 – die Arbeitslosenquote liegt bei über elf Prozent. Trotz düsterer Wirtschaftsprognosen und steigender Arbeitslosenzahl fällt diese Angst 2024 weiter ab: Nur 22 Prozent der Befragten fürchten den Jobverlust. Noch weniger Angst um den eigenen Arbeitsplatz hatten die Menschen noch nie in der Geschichte der Studie.

    Schere zwischen Angst vor Rezession und Jobverlust

    Wenn es mit der Wirtschaft bergab geht, bangen meist viele Deutsche um ihre Arbeitsplätze. Seit 2019 ist diese Entwicklung durchbrochen: Während die Sorge, die eigene Anstellung zu verlieren, seit 2005 sinkt, steigt die Angst vor einer wirtschaftlichen Talfahrt Deutschlands. 2024 liegen zwischen beiden Ängsten 26 Prozentpunkte. Einen noch größeren Unterschied gibt es im Verlauf der Umfrage lediglich einmal: 2022 beträgt die Differenz 35 Prozentpunkte. 

    Angst vor Konflikten durch Zuwanderung steigt

    Die Debatte über Zuwanderung beschäftigt auch 2024 die Deutschen: Die Angst davor, dass der Staat und die Behörden durch die Zahl der Geflüchteten überfordert sind, bleibt mit 56 Prozentpunkten groß. Die Furcht vor Spannungen durch den weiteren Zuzug ausländischer Menschen ist etwas gestiegen – ein Plus von vier Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr. Dennoch: Beide Sorgen bleiben deutlich unter ihren Höchstwerten von 2016: Zum Höhepunkt der Flüchtlingswelle fürchten zwei von drei Befragten, dass der Staat überfordert ist.

    Angst vor politischem Extremismus

    Seit 1996 fragt das R+V-Infocenter nach der Angst vor Extremismus. Höchstwerte erreicht die Angst ab 2016. Damals nehmen insbesondere rechtsextremistische Straftaten drastisch zu. Nach einer Phase der Entspannung nimmt diese Sorge 2024 deutlich zu: 46 Prozent der Befragten befürchten, dass sich der politische Extremismus ausbreitet. Damit verzeichnet diese Angst den stärksten Anstieg im Vorjahresvergleich. Das R+V-Infocenter fragt nach: Vor welcher Ausprägung fürchten sich die Befragten? 48 Prozent der Befragten haben Angst vor islamistischem Extremismus, Rechtsextremismus ängstigt 38 Prozent. Vor Linksextremisten fürchten sich lediglich sieben Prozent. 

    Terrorangst seit Anschlag in New York

    Nach dem Anschlag auf das World Trade Center in New York 2001 bleibt die Terrorangst lange auf hohem Niveau. Ihren bisherigen Höchststand erreicht sie nach den Attentaten der Terror-Miliz IS in Europa. Ab 2018 ist diese Angst rückläufig und erreicht 2021 mit 32 Prozent den seitdem niedrigsten Wert. Seitdem findet eine Trendwende statt: 2024 steigt die Furcht im dritten Jahr in Folge an, 43 Prozent der Befragten haben große Angst vor terroristischen Anschlägen.

    Die Deutschen und ihre Politiker

    Das Vertrauen der Deutschen in ihre Politikerinnen und Politiker ist traditionell schlecht. Dass diese von ihren Aufgaben überfordert sind, befürchten in diesem Jahr 49 Prozent der Deutschen. Höchstwerte erreichte diese Angst in den frühen 2000er Jahren aufgrund der Unzufriedenheit mit der Politik unter Kanzler Schröder und 2015/2016, als Millionen Geflüchtete nach Europa strömten. Zu Beginn der Corona-Krise ist das Vertrauen in die Politikerinnen und Politiker hingegen besonders groß und die Angst vor einer Überforderung der Politik historisch niedrig.

    Umweltängste sind Dauerbrenner

    Im Jahr 2003 wird die Angst vor Naturkatastrophen in die Studie aufgenommen. Die Langzeitauswertung zeigt: Nach großen und überregionalen Unwetter-Ereignissen steigt die Sorge in der Bevölkerung. Generell bewegt sich das Thema auf hohem Niveau, ist aber rückläufig. Nachdem im Jahr 2022 fast jede zweiten Befragte Angst vor Naturkatastrophen äußerte, sind es 2024 nur noch 44 Prozent. 

    Angst vor Klimawandel: Tiefstand im Osten

    Bei der Angst vor dem Klimawandel zeigen sich gegenläufige Entwicklungen: Im Osten ist die Furcht 2020 am ausgeprägtesten – im Westen erreicht sie ihren zweitniedrigsten Wert. 2023 dann das umgekehrte Bild: In Westdeutschland erreicht die Sorge ihren bisherigen Höchststand, in Ostdeutschland die zweitniedrigste Ausprägung. Auch 2024 unterscheidet sich das Angstniveau deutlich. Im Osten fürchten sich so wenig wie nie seit Einführung der Frage, im Westen sind es 43 Prozent – also deutlich mehr. 

    Krieg beunruhigt die Deutschen

    Im Jahr 2022 steigt die Befürchtung, Deutschland könne in einen Krieg verwickelt werden, sprunghaft um 26 Prozentpunkte an. Grund dafür ist der Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. 2024 bleibt die Sorge mit 41 Prozent auf ähnlichem Niveau. Ihren Höchstwert erreichte die Angst 1999 infolge des Kosovo-Krieges. Damals schnellt sie von 24 auf 60 Prozent.

    Furcht vor Schadstoffen in Nahrungsmitteln

    Pestizide, Mikroplastik und Antibiotika-Rückstände in Lebensmitteln: Viele Verbraucher fragen sich, was sie überhaupt noch gefahrlos essen können. 2024 befürchten 41 Prozent der Deutschen, dass Nahrungsmittel immer stärker mit Schadstoffen belastet sind – das ist der niedrigste Wert seit Aufnahme der Frage in die Langzeitstudie. Ihren bisherigen Höchststand erreicht die Angst vor Schadstoffen in Nahrungsmitteln 2011 nach der EHEC-Epidemie. Damals sorgt ein aggressiver Darmkeim in Sprossen für tausende Krankheits- und sogar Todesfälle.

    Angst vor Altersarmut

    Fast jeder fünfte Deutsche im Rentenalter gilt als armutsgefährdet. Das spiegelt sich auch in den Ängsten der Deutschen wider. 2024 fürchten 40 Prozent der Befragten, dass sie ihren Lebensstandard im Alter nicht halten können. Im Jahr 2005 hat fast die Hälfte der Menschen Angst vor Altersarmut – der bislang höchste Wert. Am geringsten ausgeprägt ist die Sorge 2020 mit 32 Prozent.

    Angst vor schwerer Erkrankung

    Die Angst vor einer schweren Erkrankung stagniert: 2024 beschäftigt sie 38 Prozent der Deutschen. Seit 2017 nimmt diese Angst im Langzeitvergleich spürbar ab. 2020 – zu Beginn der Corona-Pandemie – sinkt sie überraschenderweise auf den historisch tiefsten Stand. Im Jahr 2005, nach der Gesundheitsreform, bereitet dieses Thema noch fast zwei Dritteln der Befragten Sorgen.

    Pflegebedürftigkeit ängstigt vor allem Frauen 

    Etwa 5,5 fünf Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftige. Entsprechend groß ist die Angst davor, im Alter auf fremde Hilfe und Pflege angewiesen zu sein – sie beunruhigt 45 Prozent der Befragten. Bei Frauen, die in den meisten Fällen auch die Pflegenden in den Familien sind, ist diese Angst generell größer als bei Männern.

    Angst vor Störfällen in Atomkraftwerken

    Seit der Nuklearkatastrophe in Fukushima 2011 fragt das R+V-Infocenter die Angst vor Störfällen in Atomkraftwerken ab. Damals fürchtet sich mehr als jeder zweite Befragte vor den Folgen eines Reaktorunfalls. Seit 2023 werden in Deutschland keine Atomkraftwerke mehr betrieben. Störfälle und Mängel in Kraftwerken europäischer Nachbarländer tragen die Deutschen mit Fassung: Wie schon in den Vorjahren fürchtet nur knapp ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger Störfälle in Atomkraftwerken. 

    Angst vor Straftaten weiter auf niedrigem Stand

    Einbruch, Diebstahl, Körperverletzung oder Betrug: Bei fast sechs Millionen Straftaten pro Jahr ist die Wahrscheinlichkeit hoch, in den eigenen vier Wänden bestohlen zu werden oder Betrügern in die Hände zu fallen. Das spiegelt sich jedoch nicht in den Ängsten der Deutschen wider. Gerade einmal jeder vierte Bundesbürger fürchtet sich davor, Opfer einer Straftat zu werden. Mit 23 Prozent rangiert die Sorge auf dem vorletzten Platz der Ängste-Skala.

    Durchschnittliche Angst von Frauen und Männern

    Der Langzeitvergleich zeigt: Frauen sind grundsätzlich ängstlicher als Männer. Das ergibt die Studie bereits 1992, und es bleibt auch im Jahr 2024 unverändert – wenn auch mit nur geringem Abstand.

    Durchschnittliche Angst in Ost und West

    Die Menschen im Osten (43 Prozent) zeigen sich ein wenig sorgenvoller als die im Westen (42 Prozent). Dies folgt der klassischen Ängste-Verteilung der vergangenen Jahre. Lediglich 2016 und 2023 lag der Durchschnitt aller Ängste in Westdeutschland höher als in Ostdeutschland.