„Die Ängste der Deutschen“ im Langzeitvergleich

    Wie haben sich die Sorgen der deutschen Bevölkerung im Lauf der Zeit verändert? Die R+V-Studie „Die Ängste der Deutschen“ ist bundesweit die einzige Umfrage, die die Befindlichkeiten der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren dokumentiert. Der Langzeitvergleich zeigt, welche Ängste seit 1992 Jahr für Jahr im Fokus standen und gibt Aufschluss über die Intensität der unterschiedlichen Sorgen.

    Die sieben größten Ängste 1992 bis 2023

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    Mit einem Klick: Übersicht über die Top-Sorgen der R+V-Studie in den einzelnen Jahren – seit Beginn der Befragung im Jahr 1992. Einfach im blauen Balken auf den Pfeil drücken und gewünschtes Jahr auswählen.

    Der Angstindex – der Durchschnitt aller Ängste

    Der Angstindex – der Durchschnitt aller abgefragten Sorgen – gibt Aufschluss über die Stimmungslage in Deutschland. Einige Erläuterungen zu den bisherigen Spitzenwerten der R+V-Studie:

    - Insolvenzen, ein Reformstau in den Sozialsystemen und mehr als vier Millionen Arbeitslose beunruhigten die Deutschen im Jahr 2003 sehr. Da infolge des Anschlags in New York auch die Terrorangst in die Höhe schoss, stieg der Angstindex in diesem Jahr enorm an – und legte sich erst wieder nach den ersten Anzeichen eines Wirtschaftsaufschwungs im Jahr 2006.

    - 2010 verzeichnete die Studie einen erneuten Höchstwert. Auslöser für die wachsende Angst waren alarmierende Nachrichten über die Finanzmarkt- und Währungskrisen sowie Rettungsschirme für überschuldete EU-Staaten.

    - 2016 erschütterten harte Auseinandersetzungen über die Flüchtlingskrise und die Einwanderungspolitik das Sicherheitsbedürfnis der Deutschen stark.

    - Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise in den Jahren 2020/2021 blieben die Deutschen insgesamt erstaunlich gelassen – der Angstindex bewegte sich unterhalb der 40-Prozent-Marke.

    - Ukraine-Krieg, Wirtschaftseinbruch, Inflation: Eine Krise jagt die nächste – das verunsichert viele Deutsche. Im Jahr 2023 steigt der Angstindex zum zweiten Mal in Folge und erreicht mit 45 Prozent das höchste Niveau seit fünf Jahren. Besonders die Angst vor einem Wohlstandsverlust treibt viele Menschen um.

    Die Top-Ängste 2008 bis 2023

    Die Zyklen der größten Ängste:

    - Anfang des Jahrtausends bedrückten die Deutschen vor allem wirtschaftliche Sorgen – die Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten erreichte Spitzenwerte.

    - Als 2011 die Rettungsschirme für überschuldete EU-Staaten in aller Munde waren, rückte die Angst in den Vordergrund, dass die EU-Schuldenkrise teuer für den deutschen Steuerzahler wird.

    - Unter dem Eindruck der Attentate der IS-Terrormiliz verstärkte sich die Terrorangst enorm. Sie stand zwei Jahre auf Platz eins der Ängste-Skala.
     

    - 2021 traten wieder wirtschaftliche Ängste in den Vordergrund. Die Mehrheit der Deutschen fürchtete Steuererhöhungen und Leistungskürzungen als Folge der Corona-Politik.

    - Deutschland verzeichnet 2022 die höchste Inflation seit fast 50 Jahren. Seitdem ist die Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten zurück und belegt 2023 erneut Platz eins im Ängste-Ranking.

    Steigende Preise beunruhigen viele Deutsche

    Die Preisstabilität ist in Deutschland seit jeher ein hohes Gut. Die Furcht vor steigenden Lebenshaltungskosten treibt die Deutschen regelmäßig um. Im Verlauf der Langzeitstudie hat sie schon 13 Mal Platz eins belegt – häufiger als jede andere Sorge. Auch 2023 hat die Inflation Deutschland im Griff, die Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten ist zum zweiten Mal in Folge die Top-Angst. Die höchsten Werte erreichte die Inflationsangst von 2003 bis 2010. Treiber waren damals unter anderem hohe Kraftstoffpreise und Energiekosten im Zusammenhang mit der Finanzkrise. 

    Auf und Ab bei wirtschaftlichen Ängsten

    Trotz des Konjunktureinbruchs und düsterer Prognosen für Deutschland sinkt 2023 die Furcht vor einer schlechteren Wirtschaftslage. Sie fällt im Vergleich zum Vorjahr um sechs Prozentpunkte. 2023 fürchtet rund jeder Zweite eine Rezession. Damit bleibt die Sorge aber weiterhin auf hohem Niveau. Rekordwerte erreichte diese Angst in den Jahren 2009/2010 zu Zeiten der Euro-Schuldenkrise und 2004/2005, als es zu einem massiven Stellenabbau bei Großkonzernen kam. Damals fürchteten bis zu 70 Prozent der Befragten eine Talfahrt der Wirtschaft.

    Euro-Schuldenkrise bleibt ein wichtiges Thema

    Die hohen Schulden einiger EU-Staaten beschäftigen die Deutschen weiterhin stark. 2023 befürchtet jeder zweite Befragte, dass die EU-Schuldenkrise den deutschen Steuerzahler teuer zu stehen kommt.

    Krieg in Europa beunruhigt die Deutschen

    Im Jahr 2022 stieg die Befürchtung, Deutschland könne in einen Krieg verwickelt werden, um enorme 26 Prozentpunkte an. Grund dafür war der Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. In diesem Jahr bleibt die Sorge mit 43 Prozent nahezu unverändert. Ihren Höchstwert erreichte die Angst 1999 infolge des Kosovo-Krieges. Damals schnellte sie von 24 auf 60 Prozent.

    Die Deutschen und ihre Politiker

    Das Vertrauen der Deutschen in ihre Politikerinnen und Politiker ist traditionell schlecht. Dass diese von ihren Aufgaben überfordert sind, befürchten in diesem Jahr 51 Prozent der Deutschen – eine Steigerung um sieben Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr. Höchstwerte erreichte diese Angst in den frühen 2000er Jahren aufgrund der Unzufriedenheit mit der Politik unter Kanzler Schröder und 2015/2016, als Millionen Geflüchtete nach Europa strömten. Zu Beginn der Corona-Krise war das Vertrauen in die Politikerinnen und Politiker hingegen besonders groß – und die Angst vor einer Überforderung der Politik historisch niedrig.

    Angst vor politischem Extremismus

    Seit 2001 fragt das R+V-Infocenter nach der Angst vor Extremismus. 2023 blieb die Sorge im vierten Jahr in Folge unter der 40-Prozent-Marke: 38 Prozent der Befragten befürchten, dass sich der politische Extremismus ausbreitet. Doch welches politische Spektrum haben die Deutschen dabei im Hinterkopf? Auf Nachfrage des R+V-Infocenters zeigt sich eine bemerkenswerte Reihung: Mit 42 Prozent haben die meisten Befragten Angst vor islamistischem Extremismus. Rechtsextremismus ängstigt 37 Prozent, vor Linksextremisten fürchten sich lediglich elf Prozent der Befragten. Höchstwerte erreichte die Angst vor Extremismus ab 2016. Damals nahmen insbesondere rechtsextremistische Straftaten drastisch zu.

    Terrorangst seit Anschlag in New York

    Nach dem Anschlag auf das World Trade Center in New York 2001 blieb die Terrorangst lange auf hohem Niveau. Ihren bisherigen Höchststand erreichte sie nach den Attentaten der Terror-Miliz IS in Europa. Seit einigen Jahren nehmen Gewaltaktionen ab, dementsprechend sinkt auch die Furcht vor terroristischen Anschlägen. 2023 liegt diese Angst mit 38 Prozent weit hinten auf Platz 19.

    Angst vor Konflikten durch Zuwanderung

    Die Debatte über Zuwanderung beschäftigt 2023 die Deutschen: Die Angst davor, dass der Staat und die Behörden durch die Zahl der Geflüchteten überfordert sind, hat mit elf Prozentpunkten von allen Ängsten am stärksten zugelegt. Und auch die Furcht vor Spannungen durch den weiteren Zuzug ausländischer Menschen ist mit zehn Prozentpunkten stark gestiegen. Trotz des klaren Anstiegs: Beide Sorgen bleiben ganz deutlich unter ihren Höchstwerten von 2016. Zum Höhepunkt der Flüchtlingswelle fürchteten zwei von drei Befragten, dass der Staat überfordert ist.

    Angst vor Arbeitslosigkeit in Deutschland

    2020 rüttelten in der Corona-Krise die Anzeichen einer bevorstehenden Insolvenzwelle viele Deutsche auf – die Angst vor höheren Arbeitslosenzahlen sprang auf 40 Prozent. Nach einer Entspannung am Arbeitsmarkt steigt die Arbeitslosenquote 2023 wieder an. Auf die Angst vor dem Jobverlust und vor bundesweit steigenden Arbeitslosenzahlen wirkt sich das kaum aus. Das Thema Arbeitslosigkeit bedrückt auch 2023 nur eine Minderheit der Bürgerinnen und Bürger.

    Angst vor dem Verlust des eigenen Jobs

    Wenn Unternehmen massiv Stellen abbauen, fürchten viele Bürgerinnen und Bürger um ihren Job. Trotz der Krisenstimmung in der deutschen Wirtschaft steigt diese Angst 2023 kaum an und bleibt gering: Nur 25 Prozent der Befragten befürchten, selbst arbeitslos zu werden. Ihren bisherigen Höchststand erreichte die Angst 2005. Damals lag die Arbeitslosenquote bei mehr als elf Prozent.

    Schere zwischen Angst vor Rezession und Jobverlust

    Wenn es mit der Wirtschaft bergab ging, bangten in der Vergangenheit viele Deutsche auch um ihre Arbeitsplätze. 2023 zeigt sich ein völlig anderes Bild. Da Arbeitskräfte derzeit so knapp sind wie nie zuvor, klafft die Schere zwischen der Angst vor einer Rezession und der Angst vor dem Verlust des eigenen Jobs weit auseinander. Zwischen den beiden Ängsten liegen 26 Prozentpunkte. Einen noch größeren Unterschied gab es im Verlauf der Umfrage lediglich einmal: Im Vorjahr lag die Differenz bei 35 Prozentpunkten.

    Umweltängste sind Dauerbrenner bei den Sorgen

    Hagel und Hochwasser in Deutschland, Waldbrände und Überschwemmungen in Teilen Europas: Der Sommer 2023 war geprägt von Wetterextremen. Das spiegelt sich auch in der Ängste-Studie wider: Fast die Hälfte der Deutschen stimmt die Entwicklung des Klimas sorgenvoll. Die Angst vor dem Klimawandel und die Angst vor Naturkatastrophen liegen mit jeweils 47 Prozent auf den Plätzen 10 und 11.

    Angst vor Klimawandel: Höchststand im Westen

    Bei der Angst vor dem Klimawandel zeigt sich eine gegenläufige Entwicklung zwischen Ost und West: 2023 erreicht diese Angst in Westdeutschland mit 49 Prozent ihren bisherigen Höchststand. In Ostdeutschland hat sie mit 40 Prozent ihre bislang geringste Ausprägung. Die Furcht vor dem Klimawandel wird seit 2018 in der Studie abgefragt.

    Furcht vor Schadstoffen in Nahrungsmitteln

    Dioxin in Eiern, Mikroplastik in Fischen und Meeresfrüchten, Pestizide im Gemüse: Viele Verbraucher fragen sich, was sie überhaupt noch gefahrlos essen können. Dementsprechend groß ist auch die Angst: 2023 befürchten 47 Prozent der Deutschen, dass Nahrungsmittel immer stärker mit Schadstoffen belastet sind – Platz 13 im Ranking. Ihren bisherigen Höchststand erreichte diese Angst 2011 nach der EHEC-Epidemie. Damals sorgte ein aggressiver Darmkeim in Sprossen für tausende Krankheitsfälle und sogar Todesfälle.

    Angst vor schwerer Erkrankung

    Die Angst vor einer schweren Erkrankung steigt leicht: 2023 beschäftigt sie 38 Prozent der Deutschen. Seit 2017 nahm diese Angst im Langzeitvergleich spürbar ab. 2020 – zu Beginn der Corona-Pandemie – sank sie überraschenderweise auf den historisch tiefsten Stand. Im Jahr 2005, nach der Gesundheitsreform, bereitete dieses Thema noch fast zwei Drittel der Befragten Sorgen.

    Pflege ist vor allem ein Thema für Frauen

    Mehr als fünf Millionen Pflegebedürftige gibt es in Deutschland. Entsprechend groß ist auch die Angst davor, im Alter auf fremde Hilfe und Pflege angewiesen zu sein – sie beunruhigt 48 Prozent der Befragten. Bei Frauen, die in den meisten Fällen auch die Pflegenden in den Familien sind, ist diese Angst generell größer als bei Männern.

    Angst vor Störfällen in Atomkraftwerken

    Seit der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima fragt das R+V-Infocenter die Angst vor Störfällen in Atomkraftwerken ab. Damals fürchtete sich mehr als jeder zweite Befragte vor den Folgen eines Reaktorunfalls. Erstaunlich: Die angesichts hoher Energiepreise neu entfachte Debatte über Kernkraft wirkt sich nicht spürbar auf die Ängste der Deutschen aus. Wie schon in den Vorjahren fürchtet nur knapp ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger Störfälle in Atomkraftwerken.

    Angst vor Straftaten weiter auf niedrigem Stand

    Einbruch, Diebstahl, Körperverletzung oder Betrug: Bei mehr als fünf Millionen Straftaten pro Jahr ist die Wahrscheinlichkeit hoch, in den eigenen vier Wänden bestohlen zu werden oder Betrügern in die Hände zu fallen. Das spiegelt sich jedoch nicht in den Ängsten der Deutschen wider. Gerade einmal jeder vier Befragte fürchtet sich davor, Opfer einer Straftat zu werden. Mit 24 Prozent rangiert die Sorge am Ende der Ängste-Skala.

    Das Angstniveau von Frauen und Männern

    Der Langzeitvergleich zeigt: Frauen sind grundsätzlich ängstlicher als Männer. Das bleibt auch im Jahr 2023 unverändert – wenn auch mit nur geringem Abstand.

    Durchschnittliche Angst in Ost und West

    Die Menschen im Westen zeigen sich in diesem Jahr sorgenvoller als im Osten. Damit dreht sich die klassische Ängste-Verteilung um. Erst zum zweiten Mal liegt der Durchschnitt aller Ängste in Westdeutschland (45 Prozent) höher als in Ostdeutschland (44 Prozent).