„Die Ängste der Deutschen“ im Langzeitvergleich

    Wie haben sich die Sorgen der deutschen Bevölkerung im Lauf der Zeit verändert? Die R+V-Studie „Die Ängste der Deutschen“ ist bundesweit die einzige Umfrage, die die Befindlichkeiten der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger über einen Zeitraum von mittlerweile 30 Jahren dokumentiert. Der Langzeitvergleich zeigt, welche Ängste seit 1992 Jahr für Jahr im Fokus standen und gibt Aufschluss über die Intensität der unterschiedlichen Sorgen.

    Die sieben größten Ängste 1992 bis 2022

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    Mit einem Klick: Übersicht über die Top-Sorgen der R+V-Studie in den einzelnen Jahren – seit Beginn der Befragung im Jahr 1992. Einfach im blauen Balken auf den Pfeil drücken und gewünschtes Jahr auswählen.

    Der Angstindex – der Durchschnitt aller Ängste

    Der Angstindex – der Durchschnitt aller abgefragten Sorgen – gibt Aufschluss über die Stimmungslage in Deutschland. Einige Erläuterungen zu den bisherigen Spitzenwerten der R+V-Studie:

    • Insolvenzen, ein Reformstau in den Sozialsystemen und mehr als vier Millionen Arbeitslose beunruhigten die Deutschen im Jahr 2003 sehr. Da infolge des Anschlags in New York auch die Terrorangst in die Höhe schoss, stieg der Angstindex in diesem Jahr enorm an – und legte sich erst wieder nach den ersten Anzeichen eines Wirtschaftsaufschwungs im Jahr 2006.
    • 2010 verzeichnete die Studie einen erneuten Höchstwert. Auslöser für die wachsende Angst waren alarmierende Nachrichten über die Finanzmarkt- und Währungskrisen sowie Rettungsschirme für überschuldete EU-Staaten.
    • 2016 erschütterten harte Auseinandersetzungen über die Flüchtlingskrise und die Einwanderungspolitik das Sicherheitsbedürfnis der Deutschen stark.
    • Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise in den Jahren 2020/2021 blieben die Deutschen insgesamt erstaunlich gelassen – der Angstindex bewegte sich unterhalb der 40-Prozent-Marke.
    • Erst die Corona-Pandemie, dann der Ukraine-Krieg und eine hohe Inflation: Die fortwährende Krisen-Stimmung verunsichert viele Deutsche. 2022 steigt der Angstindex um sechs Prozentpunkte und erreicht mit 42 Prozent das höchste Niveau seit vier Jahren. Insbesondere die finanziellen Sorgen schnellen in die Höhe.
    Die Top-Ängste 2008 bis 2022

    Die Zyklen der größten Ängste:

    • Anfang des Jahrtausends bedrückten die Deutschen vor allem wirtschaftliche Sorgen – die Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten erreichte Spitzenwerte.
    • Als 2011 die Rettungsschirme für überschuldete EU-Staaten in aller Munde waren, rückte die Angst in den Vordergrund, dass die EU-Schuldenkrise teuer für den deutschen Steuerzahler wird.
    • Unter dem Eindruck der Attentate der IS-Terrormiliz verstärkte sich die Terrorangst enorm. Sie stand zwei Jahre auf Platz eins der Ängste-Skala.
    • 2021 traten wieder wirtschaftliche Ängste in den Vordergrund. Die Mehrheit der Deutschen fürchtete Steuererhöhungen und Leistungskürzungen als Folge der Corona-Politik.
    • 2022 verzeichnet Deutschland die höchste Inflation seit fast 50 Jahren. Mehr als zwei Drittel der Deutschen befürchten, dass die Lebenshaltungskosten stark steigen.
    Steigende Preise beunruhigen viele Deutsche

    Die Preisstabilität ist in Deutschland seit jeher ein hohes Gut. Die Furcht vor steigenden Lebenshaltungskosten treibt die Deutschen regelmäßig um. Im Verlauf der Langzeitstudie hat sie schon zwölfmal Platz eins belegt – häufiger als jede andere Sorge. 2022 lässt die hohe Inflation die Angst um 17 Prozentpunkte in die Höhe schnellen. Einen solch starken Anstieg dieser Sorge gab es im Verlauf der Studie zuvor erst einmal. 1993 stieg sie von 29 Prozent auf 57 Prozent. Grund hierfür war die damalige Talfahrt der deutschen Wirtschaft.

    Auf und Ab bei wirtschaftlichen Ängsten

    Zuerst die Corona-Lockdowns, dann die Folgen des Ukrainekrieges – Deutschlands Wirtschaft ist im Krisenmodus. 57 Prozent der Deutschen fürchten 2022 eine Rezession. Der Vorjahresvergleich zeigt einen sprunghaften Anstieg um 17 Prozentpunkte. 2021 lag die Furcht vor wirtschaftlicher Verschlechterung noch mit 40 Prozent auf Platz zehn. Rekordwerte erreichte diese Angst in den Jahren 2009/2010 zu Zeiten der Euro-Schuldenkrise und 2004/2005, als es zu einem massiven Stellenabbau bei Großkonzernen kam. Damals fürchteten bis zu 70 Prozent der Befragten eine Talfahrt der Wirtschaft.

    Euro-Schuldenkrise bleibt ein wichtiges Thema

    Die hohen Schulden einiger EU-Staaten beschäftigen die Deutschen weiterhin stark. 2022 befürchtet jeder zweite Befragte, dass die EU-Schuldenkrise den deutschen Steuerzahler teuer zu stehen kommt.

    Krieg in Europa beunruhigt die Deutschen

    Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine steigt die Befürchtung, Deutschland könne in einen Krieg verwickelt werden, um enorme 26 Prozentpunkte. Damit springt die Angst auf Platz 12 im Ranking (Vorjahr Platz 21). Einen ähnlich großen Anstieg dieser Angst gab es zuletzt 1999 infolge des Kosovo-Krieges. Damals schnellte sie von 24 auf 60 Prozent.

    Die Deutschen und die Politik

    Das Vertrauen der Deutschen in ihre Politikerinnen und Politiker ist traditionell schlecht. Dass diese von ihren Aufgaben überfordert sind, befürchten in diesem Jahr 44 Prozent der Deutschen. Angesichts der zahlreichen Krisen eine geringe Steigerung gegenüber dem Vorjahr. Höchstwerte erreichte diese Angst in den frühen 2000er Jahren aufgrund der Unzufriedenheit mit der Politik unter Kanzler Schröder und 2015/2016, als Millionen Geflüchtete nach Europa strömten.

    Angst vor politischem Extremismus

    Seit 2001 fragt das R+V-Infocenter nach der Angst vor Extremismus. 2022 blieb die Sorge im dritten Jahr in Folge unter der 40-Prozent-Marke: 35 Prozent der Befragten befürchten, dass sich der politische Extremismus ausbreitet. Doch welches politische Spektrum haben die Deutschen dabei im Hinterkopf? Auf Nachfrage des R+V-Infocenters zeigt sich eine bemerkenswerte Reihung: Mit 40 Prozent haben die meisten Befragten Angst vor Rechtsextremismus. Islamistischer Extremismus ängstigt 37 Prozent, vor Linksextremismus fürchten sich lediglich elf Prozent der Befragten. Höchstwerte erreichte die Angst vor Extremismus ab 2016. Damals nahmen insbesondere rechtsextremistische Straftaten drastisch zu.

    Terrorangst seit Anschlag in New York

    Nach dem Anschlag auf das World Trade Center in New York 2001 blieb die Terrorangst lange auf hohem Niveau. Ihren bisherigen Höchststand erreichte sie nach den Attentaten der Terror-Miliz IS in Europa. Seit einigen Jahren nehmen Gewaltaktionen ab, dementsprechend sinkt auch die Furcht vor terroristischen Anschlägen. 2022 liegt diese Angst mit 37 Prozent weit hinten auf Platz 15.

    Angst vor Konflikten durch Zuwanderung

    Mehr als eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer wurden seit Kriegsbeginn in Deutschland registriert. Trotzdem ist die Furcht vor einer Überforderung des Staates durch die Zahl der Geflüchteten gleich geblieben, aber im Ranking von Platz vier auf Platz neun gerutscht. Die Angst vor möglichen Spannungen durch den weiteren Zuzug von Ausländerinnen und Ausländern sinkt auf 37 Prozent und erreicht damit den niedrigsten Stand seit 2015.

    Angst vor Arbeitslosigkeit in Deutschland

    2020 rüttelten in der Corona-Krise die Anzeichen einer bevorstehenden Insolvenzwelle viele Deutsche auf – die Angst vor höheren Arbeitslosenzahlen sprang auf 40 Prozent. Um den eigenen Job bangten allerdings nur wenige Deutsche. Insgesamt bedrückt das Thema Arbeitslosigkeit auch 2022 nur eine Minderheit der Befragten.

    Angst vor dem Verlust des eigenen Jobs

    Wenn Unternehmen massiv Stellen abbauen, fürchten viele Bürgerinnen und Bürger um ihren Job. Trotz der Krisenstimmung in der deutschen Wirtschaft sinkt diese Angst 2022 auf ein Rekord-Tief: Nur 22 Prozent der Befragten befürchten, selbst arbeitslos zu werden. Ihren bisherigen Höchststand erreichte die Angst 2005. Damals lag die Arbeitslosenquote bei mehr als elf Prozent.

    Schere zwischen Angst vor Rezession und Jobverlust

    Wenn es mit der Wirtschaft bergab ging, bangten in der Vergangenheit viele Deutsche auch um ihre Arbeitsplätze. 2022 zeigt sich ein völlig anderes Bild. Da Arbeitskräfte derzeit so knapp sind wie nie zuvor, klafft die Schere zwischen der Angst vor einer Rezession und der Angst vor dem Verlust des eigenen Jobs weit auseinander. Einen Unterschied von 35 Prozentpunkten zwischen den beiden Ängsten gab es nie zuvor im Verlauf der Studie.

    Umweltängste sind Dauerbrenner bei den Sorgen

    Hitzerekorde und historische Trockenheit: Nach dem Dürresommer 2022 fürchtet fast jeder zweite Befragte Wetterextreme und Naturkatastrophen. Das ist ein klarer Anstieg im Jahresvergleich (2021: 41 Prozent, Platz acht). Spürbar wächst auch die Angst vor dem Klimawandel. Sie landet mit 46 Prozent auf Platz acht (Vorjahr: Platz elf).

    Furcht vor Schadstoffen in Nahrungsmitteln

    Dioxin in Eiern, Mikroplastik in Fischen und Meeresfrüchten, Pestizide im Gemüse: Viele Verbraucherinnen und Verbraucher fragen sich, was sie überhaupt noch gefahrlos essen können. Dementsprechend groß ist auch die Angst: 2022 befürchten 44 Prozent der Deutschen, dass Nahrungsmittel immer stärker mit Schadstoffen belastet sind – Platz elf im Ranking. Ihren bisherigen Höchststand erreichte diese Angst 2011 nach der EHEC-Epidemie. Damals sorgte ein aggressiver Darmkeim in Sprossen für tausende Erkrankungen und sogar Todesfälle.

    Dauerhafte Angst vor belasteten Lebensmitteln

    Was kann man noch bedenkenlos essen? Diese Frage stellen sich offensichtlich viele Menschen. Der Rückblick zeigt: In den vergangenen 15 Jahren war die Angst vor Schadstoffen in Nahrungsmittel fast immer unter den Top 10.

    Angst vor schwerer Erkrankung

    Trotz des allgegenwärtigen Corona-Virus fürchtet sich auch 2022 nur etwa jeder Dritte Deutsche vor einer schweren Erkrankung. 2020 – zu Beginn der Pandemie – sank diese Angst überraschenderweise auf den tiefsten Stand seit Beginn der Befragung. Im Jahr 2005, nach der Gesundheitsreform, bereitete dieses Thema doppelt so vielen Deutschen Sorgen.

    Pflegefall ist vor allem ein Thema für Frauen

    Mehr als vier Millionen Pflegebedürftige gibt es in Deutschland. Entsprechend groß ist auch die Angst davor, im Alter auf fremde Hilfe und Pflege angewiesen zu sein – sie beunruhigt 41 Prozent der Befragten. Bei Frauen, die in den meisten Fällen auch die Pflegenden in den Familien sind, ist diese Angst generell größer als bei Männern.

    Angst vor Störfällen in Atomkraftwerken

    Seit der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima fragt das R+V-Infocenter die Angst vor Störfällen in Atomkraftwerken ab. Damals fürchtete sich mehr als jeder zweite Befragte vor den Folgen eines Reaktorunfalls. Erstaunlich: 2022 schlagen sich die neu entfachte Debatte über Kernenergie und die Kämpfe um ein Atomkraftwerk in der Ukraine nicht auf die Ängste der Deutschen nieder. Wie schon im Vorjahr fürchtet nur knapp ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger Störfälle in Atomkraftwerken.

    Angst vor Straftaten: Tendenz sinkend

    Einbruch, Diebstahl, Körperverletzung oder Betrug: Bei mehr als fünf Millionen Straftaten pro Jahr ist die Wahrscheinlichkeit hoch, in den eigenen vier Wänden bestohlen zu werden oder Betrügerinnen und Betrügern in die Hände zu fallen. Das spiegelt sich jedoch nicht in den Ängsten der Deutschen wider. Noch nicht einmal jeder Fünfte fürchtet sich davor, Opfer einer Straftat zu werden. Mit 19 Prozent rangiert die Sorge am Ende der Ängste-Skala.

    Das Angstniveau von Frauen und Männern

    Der Langzeitvergleich zeigt: Frauen sind grundsätzlich ängstlicher als Männer. Das bleibt auch im Jahr 2022 unverändert – wenn auch mit nur geringem Abstand.

    Das Angstniveau in Ost und West

    Der Angstindex zeigt: Im Osten machen sich die Menschen generell mehr Sorgen als im Westen. Allerdings werden die Unterschiede seit mehreren Jahren geringer. 2022 beträgt der Unterschied lediglich zwei Prozentpunkte.