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„Outing brachte Farbe in mein Leben!“
Am Transgender Day of Visibility wird auf trans und nichtbinäre Menschen und ihren Kampf für Selbstbestimmtheit und Akzeptanz aufmerksam gemacht. Zwei Mitarbeitende berichten von ihrer Suche nach Identität, dem unkomplizierten Outing in der R+V und ihrer neugewonnenen Freiheit.
Von Funda Dogan, Konzern-Kommunikation
„Lieber eine Tochter mehr als ein Kind weniger“, das waren die Worte von Zoé Lynn Charpentiers Mutter, als sie erfuhr, dass ihr Kind entschiedt, auch nach außen als Frau zu leben. Zoé Lynn Charpentier bezeichnet sich als binär transgender, das bedeutet, dass sie bei ihrer Geburt als männlich eingeordnet wurde, aber eine weibliche Identität hat. Im Interview geben die 38-jährige Zoé Lynn Charpentier (Systementwicklerin in Hamburg) und die 54-jährige Katja Kohlsdorfer (Sachbearbeitung im Bereich Real Estate Lending Business), die sich vor 20 Jahren als nicht-binär geoutet hat, ehrliche Einblicke in ihr Leben als trans und nicht-binäre Transpersonen in der R+V.
Wann hast du es gemerkt, dass Du trans bist?
Zoé Lynn Charpentier: „Da gab es nicht den „einen“ Moment, es waren immer wieder kleine Dinge, die mir auffielen. Ich versuchte damals männlich zu wirken und meiner Rolle zu entsprechen. Ich wollte meinen Eltern nicht zur Last fallen. Zudem hatte ich Angst mich auszuleben, da es mir wichtig war, unauffällig zu sein. Ich legte großen Wert darauf, was andere von mir dachten.
Als ich ca. 19 Jahre alt war, wusste ich bereits, dass ich eine weibliche Identität besitze. Ich konnte es aber nicht richtig zuordnen, da ich nicht viel über Transidentität wusste. Mit 27 Jahren sprach ich es zum ersten Mal gegenüber einer anderen Person aus. Danach kamen eine Reihe von persönlichen Umständen, die dazu führten, dass ich meine Angst vor einem Outing verlor und ich dies dann Anfang 2020 durchzog.
Zoé, Du hast 2008 bei der R+V als Auszubildende Fachinformatikerin angefangen. Seit 2011 bist Du in der Dokumentenlogistik in Hamburg. Dein Outing war 2020 – sprich, Dein Team kannte Dich bereits jahrelang – wir war das Outing in der R+V für Dich?
Zoé Lynn Charpentier: Im beruflichen Umfeld hatte ich durchweg positive Erfahrungen und somit wurde die R+V zu einen Safe-Spot für mich, wo ich mich ausprobieren konnte, ohne Angst haben zu müssen. Das Outing verlief problemlos. Meine Führungskraft war lange vorher in meine Vorgeschichte eingeweiht und somit war es kein Geheimnis ihr gegenüber.
Mit Personal und dem Betriebsrat, die ich durch meine Vergangenheit bereits gut kannte, sind wir dann gemeinsam den Weg gegangen. Personal ließ das Rechtliche prüfen, meine Führungskraft übernahm den Informationsfluss außerhalb unseres Teams. Sogar meine Verträge wurden fast problemlos umgestellt.
Hattest du keine Angst vor den Reaktionen der anderen, Zoé?
Zoé Lynn Charpentier: Ja und nein. Als ich für mich entschied, als Frau auch nach außen leben zu wollen, war ich glücklich. Das Outing brachte Farbe in mein Leben. Meine Erfahrung riet mir zwar zur Vorsicht, aber bis heute ist mein Leben bunt. Menschen, die mich nicht kennen, sehen mich und sehen eine Frau – das sind die schönsten Glücksmomente meines Lebens!
Das kleine LGBT*IQ ABC – Prout at Work
Die R+V ist seit März 2023 Mitglied der Stiftung Prout at Work. Die Stiftung setzt sich für LGBTIQ+ am Arbeitsplatz ein. Ziel der Stiftung ist eine offene Arbeitswelt für alle Menschen zu fördern, unabhängig von deren sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität, dem geschlechtlichen Ausdruck oder geschlechtlicher Eigenschaften. Wenn alle Menschen – auch an ihrem Arbeitsplatz – so sein dürfen, wie sie sind, können Talente sich voll entfalten und Perspektiven erweitert werden. Aus einem offenen Füreinander wird ein produktives Miteinander.
Checken Sie weiter unten das kleine LGBT*IQ ABC
Wie war Dein Outing-Prozess, Katja?
Katja Kohlsdorfer: Ich habe meine Kindheit komplett als Junge gelebt und meine Eltern haben dies z.B. durch Kleidung, Haarschnitt und Spielsachen unterstützt. Sie haben mir aber auch immer wieder deutlich gemacht, dass das nicht normal ist und dass es ein Ende haben wird. Die (falsche) Pubertät hat mich trotz dieses Wissens sehr überrascht. Ich habe dann als (lesbische) Frau gelebt, mich aber Jahre lang, mehrfach täglich gefragt, ob ich ein trans Mann bin. Die Vorstellung davon hat sich aber nicht 100 Prozent richtig angefühlt. Ich wollte immer nur den halben Weg gehen, aber das war bis 2021 gesetzlich verboten. Ich habe mir allerdings vorher schon ein paar Schlupflöcher gesucht und meinen Mittelnamen geändert und eine Klage auf den Geschlechtseintrag „divers“ angestrengt, die derzeit ruht und genauso wie ich, auf das Selbstbestimmungsgesetz wartet. Krankenkassen bezahlen bis heute nicht-binären Personen keine geschlechtsangleichende Operation.
Wann hast Du Dich bei der R+V geoutet?
Katja Kohlsdorfer: Bei der R+V bin seit 20 Jahren und seit 20 Jahren geoutet. Hier habe ich mit Kolleg*innen oder Führungskräften immer nur gute Erfahrungen gemacht. Mein queer sein war nie ein Problem. Auch wenn ich mich immer noch auf „meine Seite“ und an anderen Stellen zwischen Herr oder Frau entscheiden muss.
Wer Fragen an mich hat oder sich einfach einmal zu dem Thema austauschen möchte kann sich gerne bei mir melden. Für einen Kaffee beantworte ich (fast) jede Frage. 😉 Danach kann niemand mehr behaupten er/sie/sier kennt keine trans Person.
Warum sollten wir uns als Unternehmen mit dem Thema beschäftigen? Weshalb ist es wichtig, auch am Arbeitsplatz für diese Themen zu sensibilisieren?
Katja Kohlsdorfer: Das Thema ist nicht, wie manche Menschen behaupten, reine Privatsache. Es gehört zum sozialen Kontakt am Arbeitsplatz auch einmal ein bisschen etwas über sein Privatleben zu erzählen. Sich zu verstecken kostet sehr viel Energie, die dann bei der Arbeit fehlt. Cis hetero Menschen outen sich ständig, ohne es zu merken. In Nebensätzen über Familie und Hobbies zum Beispiel.
Wie viele Menschen betrifft die Frage nach trans oder nicht-binärer Identität?
Katja Kohlsdorfer: Auch wenn es oft heißt, hier würde es nur um eine Minderheit gehen. Wer will denn in einer Welt leben, in der das Recht der Masse gilt? Als das Linkshänder*in sein noch umerzogen wurde, gab es cirka 1 Prozent Linkshänder*innen. Als die Schläge aufgehört haben hat es sich bei 10 Prozent eingependelt. Wenn man Kinder nicht mehr in Geschlechterrollen drängt, werden sich viele vielleicht auch nicht mehr zwangsweise einem binären Geschlecht zuordnen.
Wie nimmt deine Familie das auf, deine Eltern, Partner/in, Kind?
Zoé Lynn Charpentier: Es wäre schön zu sagen, dass alles wunderbar verlief, dem ist aber leider nicht so. Meine Situation löste Streit aus, einige reden nicht mehr miteinander und zu zwei (von fünf) meiner Geschwister habe ich keinen Kontakt mehr. Meine Eltern kommen mittlerweile gut mit klar und haben es akzeptiert. Die Worte meiner Mutter waren: „Lieber eine Tochter mehr, als ein Kind weniger“ – dies beschreibt die Ernsthaftigkeit der Lage ganz gut!
Die Scheidung von meiner Frau hatte nichts mit meinem Outing zu tun, allerdings haben wir seitdem ein viel besseres Verhältnis zueinander, wovon besonders unser gemeinsames Kind profitiert. Mein Kind hat es wohl am leichtesten aufgenommen, dass es jetzt zwei Mamas hat.
Was ist das Risiko, wenn Menschen nicht ihre eigene Identität leben können?
Katja Kohlsdorfer: Wenn ein Mensch jahrelang seine gefühlte Identität unterdrückt, sind psychische Erkrankungen oft die Folge.
Zoé Lynn Charpentier: Als sich mein Körper im Teenie-Alter ins Männliche veränderte, machte mich das durch die Ablehnung meines Körpers, depressiv. Wichtig ist, darüber zu sprechen und sich früh genug Hilfe zu holen. Das Angebot der R+V für eine schnelle, psychologische Beratung im Ernstfall funktioniert sehr gut und ist empfehlenswert. Darüber hinaus kann ich die Beratungsstelle in Hamburg empfehlen, die mir damals sehr geholfen hat.
Viele umgehen die direkte Ansprache, weil sie sich unsicher sind, wie nicht-binäre Person angesprochen werden möchte – was ist Euer Vorschlag für die Ansprache in Meetings oder einem anderen beruflichen Umfeld?
Katja Kohlsdorfer: Gender kann man niemandem ansehen, deshalb sollte man einfach nach den Pronomen fragen. Und zwar nicht nach den bevorzugten Pronomen, sondern nach den benutzten Pronomen. Es ist keine Wahl. Wenn man sich zum Beispiel bei einem Meeting vorstellt, wäre es eine riesige Hilfe, wenn alle Anwesenden sich mit ihrem jeweiligen Pronomen vorstellen würden. Das hilft der wahrscheinlich einzigen trans Person im Raum ungemein, denn dann ist sie nicht die einzige und erste Person, die ihre Pronomen sagen muss. Oder eben misgendert wird.
Noch viel einfacher und mit einer großen Aussagekraft verbunden wäre es, wenn alle Mitarbeitenden ihre Pronomen in die E-Mail-Signatur aufnehmen würden. Dann wüssten alle trans Personen, dass es sich hier um einen Ally (Unterstützer*in der queeren Community) handelt. Nicht-binäre Menschen im deutschsprachigen Raum suchen immer wieder nach neuen Pronomen, mit denen die Geschlechtsneutralität in unserer Sprache erreicht werden kann. Ein Beispiel ist das Neo-Pronomen ‚sier‘ (gesprochen mit langem ‚i‘). Es würde dann heißen: „Sier hat Schokolade gekauft, die sier später essen möchte.“
Und hier noch eine Aufgabe für alle Lesenden von Katja Kohlsdorfer
Beschreiben Sie für sich, woher Sie wissen, dass Sie sich mit dem Geschlecht identifizieren, das man Ihnen bei der Geburt zugewiesen hat.
Nicht erlaubt sind Verweise auf körperliche Merkmale. Ebenso darf man nicht sagen, dass man es einfach weiß, spürt oder fühlt. Oder dass man einfach gerne Mann/Frau ist. Das reicht als Erklärung nicht aus.
Los!
Begriffserklärungen
Transgender bedeutet, dass sich eine Person nicht mit dem ihr bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifiziert.
Cisgender ist das Gegenteil und bedeutet, dass sich eine Person mit dem ihr bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifiziert.
Nicht-binär bedeutet, dass sich eine Person nicht oder nicht vollständig mit den binären Geschlechtern Mann/Frau identifiziert. Das kann z.B. bedeuten, dass sie sich genderlos bzw. geschlechtsneutral fühlt, dass sie sich irgendwo zwischen Mann und Frau identifiziert oder abwechselnd, manchmal mehr männlich oder manchmal mehr weiblich.
Nicht alle nicht-binären Personen bezeichnen sich auch als trans und nicht alle nicht-binären Personen fühlen sich im falschen Körper geboren (gender Dysphorie).
Viele nicht-binäre und auch trans Personen haben keine Probleme mit ihrem Körper, wollen oder können aber die gesellschaftlich vorgegebenen Erwartungen zu Geschlecht und Gender nicht erfüllen.
Intersexuell bedeutet, dass eine Person mit nicht eindeutigen männlichen oder weiblichen Geschlechtsmerkmalen auf die Welt gekommen ist.