15Feb2023 So ist R+V

    Das Ohr an der Branche

    Anja Ludwig leitet seit Sommer 2022 das KompetenzCenter für Straßenverkehrsgewerbe und Logistik. Im Interview erzählt sie von Nöten der Logistik-Branche, den Chancen für Versicherer und wie sie positive Prozesse verstärkt.

    Gesa Fritz

    Das Image der Branche scheint miserabel: Lkw verstopfen die Autobahnen, verursachen tödliche Unfälle und verpesten die Umwelt. Erleben Sie das auch so?

    Ich habe nicht den Eindruck, dass das Image schlecht ist. Gerade während Corona haben viele Menschen gemerkt, wie sehr sie auf die Logistik angewiesen sind. Wir alle erinnern uns an die leeren Klopapier-Regale. Die Waren müssen geliefert werden und ohne die Männer und Frauen hinterm Lenkrad geht gar nichts. Die Logistik-Branche ist systemrelevant, sie hält unser Land am Laufen. Darauf kann die Branche stolz sein.

    Welche Rolle spielt dabei das Kompetenzzentrum für Straßenverkehrsgewerbe und Logistik?

    Es soll das Image der Logistikbranche weiter verbessern. Viele haben das Motto „Tue Gutes und rede darüber“ noch nicht wirklich verinnerlicht. Es gibt viele Dinge, die man noch mehr ins Schaufenster stellen könnte. Dazu gehört das Netzwerk KRAVAG Truck Parking, mit dem die Branche selbst versucht, die Missstände der Parksituation anzugehen. Ein anderes Beispiel ist der Verein Aktion Kinder-Unfallhilfe, der sich für Unfallverhütung stark macht und von vielen Speditionen unterstützt wird.

    Das ist aber nur ein Aspekt Ihrer Arbeit…

    Das Kompetenzzentrum ist Schnittstelle zwischen Betrieben und Versicherer. Bei mir laufen die Fäden zusammen. Dabei arbeite ich auch eng mit den Verbänden auf Bundes- und Landesebene zusammen. Networking, die Leute persönlich kennenzulernen, ist dabei das A und O. Deshalb gehe ich mit den Spediteuren über den Betriebshof oder mit Helm und Warnweste in die Lagerhallen. Ich versuche mein Ohr ganz dicht an der Branche zu haben, zu verstehen, wo die Sorgen und Nöte der Betriebe sind und wie wir ihnen helfen können. 

    Was treibt die Branche derzeit um?

    Thema Nummer eins ist der Personalmangel. Er trifft inzwischen alle Unternehmen in nahezu allen Bereichen. Hier versuchen wir zu helfen und Ideen zu entwickeln. Beispielsweise wollen wir Projekte aufsetzen, bei denen Schülerinnen und Schüler direkt in die Betriebe eingeladen und für die Arbeit begeistert werden. Nach dem Motto: Kommt zu uns ins echte Leben. Viele haben keine Vorstellung, wie vielfältig die Jobs in der Logistik sind. Als Versicherer können wir Arbeitgeber attraktiver machen, indem wir beispielsweise Bausteine zur betrieblichen Altersvorsorge anbieten. Viele Themen, die wichtig sind, werden gar nicht mit dem Fahrermangel verbunden. Dazu gehört zum Beispiel der Parkplatzmangel. Es ist unzumutbar, wenn Trucker irgendwo abseits ohne jede Sanitäranlage übernachten müssen. Die Parkplatznot ist ein politisches Thema, dem ich Nachdruck verleihen kann. Aber das ist wirklich eine Mammut-Aufgabe.

    Die Bedrohung durch Cyberkriminalität ist ein weiteres wichtiges Thema …

    Ja, Cyber-Sicherheit begegnet mir jeden Tag im Dialog mit den Unternehmen. Es gibt eine große Sorge vor der Gefahr. Derzeit erarbeiten wir zusammen mit den Straßenverkehrsgenossenschaften und den Unternehmen den Cyberpakt. Mit ihm wollen wir einen Fahrplan zur größtmöglichen Cybersicherheit bieten.

    Steht die Unfallverhütung auch auf Ihrer Agenda?

    Alles, was Unfälle verhindert, ist uns hochwillkommen. Wir bieten natürlich Versicherungsschutz bei Unfällen – aber noch lieber verhindern wir sie.

    Stichwort Verkehrswende: E-Fahrzeuge sind in den Flotten noch absolute Exoten. Warum dauert der Umstieg so lange?

    Nachhaltigkeit ist extrem wichtig. Aber der Umstieg auf Elektro-Lkw geht nicht von heute auf morgen. Er bedeutet für die Unternehmen Mehraufwand und Mehrkosten, weil die Fahrzeuge sehr teuer sind und sich der Ausbau der Ladeinfrastruktur nur sehr zögerlich entwickelt. Gleichzeitig stehen wir alle als Verbraucher in der Verantwortung.

    Sie bewegen sich zwischen Politik, Verbänden, SVGen, Unternehmen und Versicherern – jeder hat andere Standpunkte und Interessen. Sind da Ergebnisse überhaupt möglich? 

    Tatsächlich braucht man einen langen Atem und am Ende steht dann meist ein Kompromiss. Allerdings sind für mich Kompromisse nicht negativ belegt, sondern eine Chance. Es gibt eben nicht nur schwarz und weiß. Meine Devise lautet: Wenn man miteinander redet, sich gegenseitig kennenlernt, löst sich oft vieles auf. Wenn Sympathie und Vertrauen entstehen, ist man offener für die Argumente des anderen. Ich bin davon überzeugt, dass es sich lohnt, immer wieder das Gespräch für gemeinsame Lösungen zu suchen.