16Mär2022 So ist R+V

    Mit Kindern über Krieg sprechen

    Der Krieg in der Ukraine schürt Ängste. Wie können Eltern mit Kindern darüber sprechen? Wie können sie vor grausamen Bildern geschützt werden? Für Kinderbetreuung und Familienberatung arbeitet R+V mit dem Dienstleister pme Familienservice zusammen. Elternberater Christian Keller gibt hier Tipps, die beim Gespräch mit Kindern unterstützen.

    von Anja Schmidt-von Rhein

    Christian Keller | pme Familienservice
    Wie spreche ich mit Kindern über den Krieg?

    Es ist eine Frage, die Eltern in der momentanen Situation stark beschäftigt: Wie kann ich meine Kinder über Krieg und Flucht informieren? Christian Keller ist Elternberater beim pme Familienservice und selbst Vater von sechs Jungs. R+V arbeitet mit dem pme Familienservice zusammen.


    Herr Keller, kann man mit Kindern über den Krieg in der Ukraine sprechen?

    Ja! Es ist das Beste ist, wenn es die Kinder aus erster Hand von ihren Eltern erfahren. Das Thema kommt ja an allen Ecken und Enden im Alltag auf sie zu. Im Gespräch können Eltern die Ereignisse einordnen, und im Zweifelsfall mit einer besseren Sensibilität dafür, was ihre Sprösslinge vertragen.
     

    Auch bei kleinen Kindern?
    Ja, auch bei kleinen Kindern. Man kann sagen, dass es da einen bösen Mann gibt, der anderen ihr Land wegnehmen will. Sie dürfen sich dafür auch mediale Unterstützung holen. Bei Kindergartenkindern, würde ich eher auf Bücher zurückgreifen (Buchtipps im Hintergrundkasten) zum Thema Konflikte/Krieg oder Flucht. Oder Fernsehangebote wie „Frag doch mal die Maus“ oder die Kindernachrichten „Logo“, die das kindgerecht erklären.
    Eltern kennen ihr Kind am besten. Da gibt es sicherlich unterschiedlich sensible Kinder. Die Tagesschau würde ich mit einem Sechsjährigen nicht schauen, ohne zu wissen, was da zu sehen sein wird.


    Wie spreche ich das Thema am besten an?
    Ich würde versuchen, das zuerst im Dialog anzusprechen. Also z.B. eher zu fragen: „Hey was hast Du gehört zu dem Thema?“, oder: „Vielleicht hast Du schon gehört, es gibt da einen Krieg?“. Dann kommt man da auch ins Gespräch.
    Mein Rat wäre auch, relativ schnell von der Informationsebene wegzukommen auf eine Gefühlsebene: „Gibt es da Dinge, die Dir Sorgen machen?“
    Im empfehle Eltern authentisch zu sein und auch die eigenen Sorgen anzusprechen. In begrenztem Umfang natürlich.
    Es ist gut, über Gefühle zu sprechen, nicht alles zu verschweigen, nicht zu verharmlosen.


    Was, wenn mein Kind Angst hat?
    Wichtig ist, die Gefühle ernst zu nehmen. Besser nicht sagen: „Du brauchst keine Angst zu haben“, sondern eher: „Das kann ich verstehen. Mir geht es manchmal auch so.“ Es hilft auch, mit den Kindern Dankbarkeit einzuüben. Das aktiviert etwas Gutes und führt vom Thema Angst weg.
    Das Kind kann beispielsweise ein Dankbarkeitstagebuch führen. Oder Sie überlegen abends gemeinsam drei Dinge, für die man dankbar sein konnte an dem Tag. Gläubige Menschen sprechen vielleicht ein Dankgebet oder gehen mit den Kindern zu einem Friedensgebet.
    Wenn es um Ängste geht, ist es wichtiger, sich mit dem Gefühl zu beschäftigen als auf der Vernunftebene zu argumentieren. Erst fragen: „Was macht Dir konkret Angst?“ Und dann überlegen: „Was kann man dieser Angst entgegensetzen?“


    Und wenn mein Kind nicht so gesprächig ist? Ich habe gerade einen Teenie-Jungen vor dem inneren Auge…
    Vielleicht belastet es das Kind dann gerade nicht so. Es ist dann auch wichtig, das Kind in Ruhe zu lassen. Im Teenie-Alter sind nicht mehr die Eltern die erste Bezugsperson, sondern die Peer Groups, die Freunde, mit denen ihr Kind unterwegs ist.
    Ein Tipp wäre, es zu fördern, dass sich die Kinder wieder mit Freunden treffen, gerade nach zwei Jahren Pandemie. Kontakte zu pflegen in diesen schwierigen Zeiten, ist für Jugendliche sehr wichtig und gut für ihre mentale Gesundheit.


    Und bei älteren Kindern?
    Je älter das Kind, desto mehr kann man dem Kind auch zumuten - desto mehr Informationen konsumiert es ja ohnehin schon.

    Bei einem Kind in der Oberstufe kann man den Informationsfluss kaum noch steuern. Andererseits kann man bewusst Anlässe schaffen, um sich gemeinsam zu Themen zu informieren, etwa in der Tagesschau, auf youtube oder durch einen Social-Media-Post.

    Das Wichtigste ist im Moment, Stabilität zu geben. Wir erleben im Moment eine Phase der Unsicherheit, da haben wir als Eltern als ersten Auftrag, unseren Kindern Stabilität zu geben. Dadurch, dass wir für unsere Kinder da sind und ein offenes Ohr für sie haben. Dass es nicht unwichtig ist, wenn sie Angst haben oder traurig sind. Oder vielleicht helfen möchte. Da dann auf Augenhöhe gehen und schauen: Was können wir da gemeinsam draus machen?
    Wenn man als Eltern das Gefühl hat, nicht gut mit der Situation klarzukommen, kann man sich auch externe Hilfe holen. Gern auch bei uns.


    Kann ich mein Kind momentan alleine vor den Fernseher oder den Computer setzen?
    Schwierig. Teenies ab 13 oder 14 Jahren von Medien fernzuhalten, wird nicht funktionieren. Was man da machen kann, ist Medien zu regulieren, dass man den Besuch mancher Websites einschränkt, dass man regelmäßig über Bildschirmzeit und Inhalte spricht, vielleicht sogar einen Mediennutzungsvertrag abschließt (Link siehe im Hintergrundkasten), also Regeln im Umgang mit Medien aufstellt.
    Bei jüngeren Kindern würde ich eher begleitet Medien nutzen. Oder lieber Mediatheken nutzen als Live-Sendungen. Dann kann man sich vorher informieren, was kommt, und es startet im Anschluss nicht gleich die nächste Sendung.


    Ist das Thema in ähnlicher Weise schwierig wie das Corona-Thema?
    Corona hat die Kinder schnell unmittelbar betroffen. Menschen aus ihrem Umfeld sind schwer erkrankt oder gestorben, oder sie konnten nicht mehr in die Kita gehen oder sich mit Freunden verabreden … Sie konnten auch etwas dagegen machen – Maske tragen etwa. Das stärkt die Selbstwirksamkeit, also die innere Überzeugung, die Situation meistern zu können.
    Im Moment spüren die Kinder dagegen noch nicht die unmittelbaren Auswirkungen des Kriegs. Beim Krieg ist das erste Erleben, dass es Angst macht und traurig stimmt, aber man eigentlich nichts tun kann.


    Wie kann man mit dieser Ohnmacht umgehen?
    Man kann dieser Ohnmacht etwas entgegensetzen, indem man gezielt Erlebnisse der Selbstwirksamkeit herausfordert. Das können ganz kleine Dinge sein, die natürlich zum Kind passen müssen: Beispielsweise ein Bild malen dazu, wie sich das Kind die Situation vorstellt. Oder etwas kreativ zu gestalten. Auch sich gemeinsam auf die Suche nach guten Informationen zu machen, wie man helfen kann, kann Kindern und auch Eltern einen Weg aus der erlebten Ohnmacht zeigen.
    Das Thema Geflüchtete wird uns in Deutschland in den nächsten Wochen sicher direkt beschäftigen. Hier kann man kleine Geschenke basteln. Oder überlegen, wie man den Menschen helfen kann, die da gerade fliehen müssen? Kann man etwas spenden?

    Kontakt

    Service-Hotline pme Familienservice für R+V-Mitarbeiter

    Kindgerechte Literaturtipps:
    • „Neues Zuhause gesucht“ von John Chambers. (ab 4-5 Jahren)
    • „Wie ist es, wenn es Krieg gibt? Alles über Konflikte“ von Louise Spilsbury
    • „Ein gutes Gefühl. Gefühlstagebuch für Kinder“
    • Gefühlsmonster-Karten