27Jan2021 Kollegen privat

    Hunde aus Ungarn retten

    R+V-Mitarbeiterin Martina Schmidt engagiert sich im Auslandstierschutz.

    Von Stephanie Simon

    Sie kommen aus Ungarn, Spanien oder Bulgarien. Sie werden auf der Straße eingefangen, im Tierheim abgegeben oder dort einfach über den Zaun geworfen. Sie sind unterernährt, krank und nicht selten traumatisiert. Doch mit viel Glück bekommen diese Hunde in Deutschland eine Chance: Sie werden von einer Familie adoptiert oder finden vorübergehenden Unterschlupf auf einer Pflegestelle. Damit dieses Glück wahr wird, engagieren sich Menschen wie Martina Schmidt: „Wir wollen diese Hunde aus Ungarn retten“.

    Die R+V’lerin arbeitet schon seit über einem Jahrzehnt im internationalen Tierschutz, früher beim Tierschutzverein Canifair. e.V. , heute bei Tapfere Pfoten e. V. . Sie begleitet Transporte der Hunde aus dem ausländischen Shelter nach Deutschland, prüft kritisch potentielle neue Hundebesitzer und nimmt auch selbst immer wieder Pflegehunde auf.

    Alles begann für Martina Schmidt, als sie eine Anzeige im R+V-Intranet las. Dort hatte ein Kollege einen Pflegehund annonciert. „Darüber bin ich auf die Internet-Seiten von Canifair gestoßen“, erzählt Schmidt. „Ich habe mich gleich als Mitglied angemeldet und die Organisation erstmal mit Geld unterstützt.“ Auf eine Rundmail an alle Mitglieder, in der um tatkräftige Mithilfe gebeten wurde, meldete sie sich spontan. „Von da an ging es immer weiter.,“ berichtet sie. „Später habe ich mir gesagt, wenn ich hier Hunde aus Ungarn vermittle, muss ich auch wissen, wie es vor Ort aussieht.“ Vier, fünf Mal hat sie die Gewalttour nach Ungarn mitgemacht. Mehr als 1000 Kilometer am Stück in einem Transporter, auf der Hinfahrt mit Sachspenden bis unters Dach vollgestopft, auf der Rückfahrt stecken in den Hundeboxen 30 Hunde, auf der Reise zu ihrem neuen Zuhause.

    Kooperation mit ausländischen Tierheimen

    Die deutschen Vermittler arbeiten oft mit bestimmten ausländischen Tierheimen eng zusammen. Dort leben meist mehrere hundert Hunde in größeren oder kleineren Gruppen zusammen, im Zwinger oder auf freiem Gelände, notdürftig geschützt vor Hitze, Regen oder Schnee.

    Immerhin werden sie im Shelter einigermaßen ernährt und ärztlich versorgt, oft schon vor Ort kastriert. Meist ist die Vorgeschichte unbekannt: Sie werden auf der Straße geboren, erweisen sich als Jagdhund untauglich, vegetieren jahrelang als Hofhund an der Kette oder werden nach der ersten niedlichen Welpenzeit aus ihrem Heim verstoßen. Martina Schmidt erinnert sich an eine Hündin in Ungarn, die sie besonders berührt hat: „Sie hatte Räude, war von Hautmilben befallen und hatte kaum noch Haare. Ich habe sie gehalten, während der Tierarzt in Ungarn sie behandelte. Sie musste solche Schmerzen gehabt haben, es war herzzerreißend.“

    Kulturschock Deutschland
    Bilder aus einem Tierheim in Bulgarien. In Deutschland hätten es die Hunde deutlich besser.

    Für Tapfere Pfoten, bei denen Schmidt seit einem Jahr tätig ist, reisen jeden Monat rund 30 Hunde aus Bulgarien nach Deutschland. „Meistens kommen die Hunde von der Straße“, erzählt sie. „Oft werden Welpen aber auch im Tierheim geboren oder mit der Mutter eingesammelt. Diese Hunde können nichts und kennen nichts – nur den Zwinger und den Auslauf.“

    Kommen sie nach Deutschland, werden sie mit ungewohnten und erschreckenden Eindrücken konfrontiert: Sie leben plötzlich in einer Wohnung und dürfen nur noch draußen ihr Geschäft verrichten. Auf der Straße braust der Verkehr, sie begegnen fremden Menschen und Hunden. Manche können die Nähe eines Menschen nur schwer ertragen, andere kommen mit dem ungewohnten Futter nicht zurecht. „Diese Hunde sagen ja nicht: Hurra, ich bin gerettet! Das ist menschliches Wunschdenken“, betont die erfahrene Tierschützerin. „Die Hunde kommen in eine völlig neue Welt. Einige kommen damit besser zurecht, andere verfallen regelrecht in Angststarre.“ Viel zu oft, so Schmidt, laufen gerade angekommene Hunde in blinder Panik davon. „Warum können die Leute die Hunde nicht richtig sichern?“ meint sie aufgebracht. Ein Sicherheitsgeschirr, aus dem der Hund nicht herausschlüpfen kann. Ein Zaun, der hoch genug ist, damit er nicht übersprungen werden kann. Die Leine dran, bevor die Autotür aufgeht. Kein Freilauf, bevor der Rückruf hundertprozentig sitzt. „Das empfehlen wir immer wieder – aber viele Leute unterschätzen die Gefahr.“

    Das passende Zuhause finden

    Um den richtigen Hund zum richtigen Menschen zu vermitteln, muss jeder Interessent nicht nur eine genaue Selbstauskunft ausfüllen. Martina Schmidt fährt regelmäßig zu den so genannten Vorkontrollen, bei denen sie die potentiellen Hundebesitzer genau prüft. „Ob die Leute einen großen Garten haben, ist uns gar nicht so wichtig“, meint sie. „Die meisten Hunde wollen nicht allein im Garten spielen, sie wollen bei ihren Menschen sein.“ Das Bewegungsbedürfnis von Hund und Mensch muss zusammenpassen. Wenn die Familie viel wandert, joggt oder Fahrrad fährt, ist auch eine kleine Wohnung kein Problem, weiß Schmidt: „Ich schaue, ob es Kinder gibt, weitere Hunde oder andere Tiere, haben die Menschen ein Handicap, wie gehen sie mit dem Hund um? Und am Ende vertraue ich auf mein Bauchgefühl: Finden die zueinander oder nicht?“

    Sie gibt Empfehlungen zu Ernährung und Sicherheitsmaßnahmen – und fragt genau nach den Lebensumständen. Wie sind die Arbeitszeiten? Muss der Hund alleine bleiben, gibt es einen Plan B, wenn das nicht gleich klappt? Wie sieht die Umgebung aus? Ob der Hund im Bett schläft oder nicht, muss jeder selbst entscheiden, findet sie. Sie empfiehlt jedoch den Besuch einer guten Hundeschule, die sich mit den besonderen Bedürfnissen von Auslandshunden auskennt. „Einige Leute erzählen ganz bewusst das, was ich hören will,“ hat sie die Erfahrung gemacht und googelt daher vorab nach Infos.

    Pflegestelle als Zwischenstopp
    Martina Schmidt und ihre Golden Retriever Hündin Lili.

    Natürlich gilt auch: Je mehr man über den Hund weiß, desto besser klappt die Vermittlung. Ist er katzenverträglich und kinderlieb? Ist er jagdbegeistert oder hat er Angst vor Geräuschen? Kennt er das Leben in einer Wohnung oder muss die Stubenreinheit noch geübt werden? Lässt er sich anfassen, kennt er Geschirr und Leine? Dabei helfen die Pflegestellen, die Hunde für ein paar Wochen und Monate aufnehmen, bis er endgültig vermittelt werden kann. Das ist nicht einfach, weiß Schmidt: „Die Pflegestelle muss Hundeerfahrung haben und sich bewusst sein, dass es auch mal Monate dauern kann, bis der Hund vermittelt wird.“

    Auch sie selbst nimmt regelmäßig Neuankömmlinge bei sich auf und bringt ihnen die Grundlagen des neuen Lebens bei. Ihre eigene Golden Retriever-Hündin Lily, mit zwölf Jahren schon eine ältere Hundedame, muss ihren Menschen immer wieder mit Neuankömmlingen teilen. „Bis zu vier Hunde nehme ich im Jahr in Pflege“, erzählt Schmidt. „Lily findet sich damit ab. Manchmal versteht sie sich auch richtig gut mit ihnen.“ Liebe auf Zeit – es fällt Schmidt mitunter sehr schwer, die Pflegehunde abzugeben. „Früher habe ich tatsächlich bei der Übergabe geweint. Inzwischen ist es nicht mehr so schlimm, aber ich vermisse sie immer.“

     

    Bildquelle: Martina Schmidt