27Mär2020 So ist R+V

    „Das Schlimmste ist die Stille“: Ein Stimmungsbericht aus Italien

    Seit mehr als vier Wochen arbeiten die rund 400 Mitarbeiter der R+V-Tochter Assimoco in Mailand von daheim. Inzwischen steht ganz Italien unter Quarantäne – zwei Kollegen berichten.

    Von Stefanie Simon

    22. Februar. Italien ist das erste europäische Land, in dem sich das Corona-Virus breitmacht. In der Lombardei sind 46 Menschen nachweislich mit Covid-19 infiziert, vor allem in der Kleinstadt Codogno, eine Fahrtstunde von Mailand entfernt. Die Behörden schließen in Codogno und den umliegenden Gemeinden die Schulen und öffentlichen Lokale, rund 50.000 Menschen in der Region werden aufgefordert, zuhause zu bleiben. Die Geschäftsführung der Assimoco mit Hauptsitz in Mailand reagiert umgehend: Ab Montag, dem 24. Februar, arbeiten die rund 400 Assimoco-Mitarbeiter fast alle im Homeoffice.

    Doch die Epidemie lässt sich nicht aufhalten. Am 8. März wird die Lombardei komplett abgeriegelt. Am 10. März – die Statistik zählt inzwischen mehr als 10.000 Infizierte – verhängt die italienische Regierung für das ganze Land eine Quarantäne. 60 Millionen Italiener sind aufgerufen, zuhause zu bleiben. Das öffentliche Leben kommt zum Erliegen. Wie sich ein solcher Ausnahmezustand anfühlt, berichten Simona Silvestri, Sekretärin der Geschäftsleitung, und Thomas John, R+V-Niederlassungsleiter in Mailand.

    Frau Silvestri, Herr John, die Assimoco hat ihre Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt – betrifft das auch Sie beide?

    Simona Silvestri: Ich arbeite seit dem 24. Februar zuhause, jetzt schon die fünfte Woche. Die Assimoco hat sofort reagiert nach den Berichten über die ersten Infizierten nahe Mailand.

    Thomas John: Ich war zunächst noch überwiegend im Büro. Im Homeoffice arbeitet ich erst seit vorletztem Montag, dem 9. März. Davor waren noch Unterschriften zu leisten, Zahlungen anzuweisen. Und ich konnte die wenigen verbliebenen Kollegen unterstützen. Wo normalerweise 400 Leute arbeiten, verteilten sich rund 15 Mitarbeiter über zwei Stockwerke. Ansteckungsgefahr war nicht gegeben, wir konnten viel Abstand halten.

    Ab dem 10. März gilt landesweite Quarantäne, davor waren die Einschränkungen noch nicht so streng?

    Simona Silvestri: Am Anfang haben wir ein bisschen aufgepasst, die ersten zwei Wochen waren nicht so schwierig. Wir mussten durch das Homeoffice keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzen, davor wurde auch immer gewarnt wegen der Ansteckungsgefahr. Am Anfang habe ich mich noch mit einer Freundin getroffen und wir sind abends weggegangen, aber immer auf Abstand. Am Samstag vor der Quarantäne bin ich noch mit meiner Mama spazieren gegangen.

    Thomas John: Was in Deutschland das Feierabendbier ist, ist in Italien der Aperitivo: Nach der Arbeit trifft man sich in den Bars. Das fällt nun gänzlich weg. Bis vergangenen Montag waren die Bars und Restaurants noch von 8 bis 18 Uhr geöffnet, allerdings musste man einen Meter Abstand halten. Die sind jetzt auch geschlossen.

    Und wie sieht es seitdem aus?

    Silvestri: Ich wohne alleine mit meiner Katze Tokita. Meine Eltern und mein Bruder wohnen nur ein paar Kilometer entfernt, aber persönlicher Kontakt ist jetzt nicht möglich. Trotzdem fühle ich mich nicht einsam, ich telefoniere jeden Tag mit Kollegen, Freunden und meiner Familie. Und zum Glück habe ich einen Garten.

    John: Jetzt heißt die Devise: Io resto a casa – ich bleibe zuhause. Eigentlich ist es nicht mal erlaubt, dass meine Freundin sich jetzt bei mir in meiner Wohnung aufhält, da sie in der Nachbargemeinde gemeldet ist. Ich selbst mache gern Sport, bin als Österreicher und ausgebildeter Skilehrer ein begeisterter Skifahrer. Aber diese Saison ist für mich vorbei. Im Moment gehe ich nur joggen, weit weg von der Straße, damit mich die Polizei nicht anhält.

    Warum hält die Polizei Jogger an?

    John: Jeder, der das Haus verlässt, muss vorher ein Formular ausdrucken und ausfüllen. Man darf das Haus nur eingeschränkt verlassen, zur Arbeit – sofern der Betrieb in eine genehmigte Kategorie fällt –, zum Einkaufen oder zum Arzt oder der Apotheke. Die Polizei kontrolliert die Eigenerklärungen.

    Silvestri: Man kann auch nicht irgendwo einkaufen gehen, nur in den Supermarkt direkt am Wohnort. Sogar mit dem Hund darf man nur fünf Minuten raus, um die nächste Ecke. Wenn in dem Formular nicht die Wahrheit steht, kann das bestraft werden.

    Was ist für Sie die größte Veränderung?

    Silvestri: Koffer packen, zum Weltraumbahnhof fahren und rein ins Spaceshuttle: Urlaub im All klingt abenteuerlich, ist aber bislang noch Zukunftsmusik. Geht es nach Tesla-Chef Elon Musk, Amazon-Gründer Jeff Bezos oder dem britischen Unternehmer Richard Branson soll sich das bald ändern: Mit „Blue Origin“, „SpaceX“ und „Virgin Galactic“ haben sie Unternehmen gegründet, die private Raumfahrten anbieten wollen.

    John: Mehr als Testflüge kann bisher aber noch niemand vorweisen. Diese führen meist in die Mesosphäre, also in circa 85 Kilometer Höhe, was strenggenommen noch gar nicht zum Weltall gehört. Nichtsdestotrotz: Auch Testflüge müssen haftpflichtversichert sein. Einige Kunden der R+V Rückversicherung vertreiben damit bereits eine Vorstufe der Weltraumtourismusversicherung.

    Leere Straßen wohin man blickt: Silvestri (li.) und John (re.) haben die gespenstische Stimmung eingefangen.

    Das klingt beängstigend…

    John: Das Lebensgefühl hat sich sehr verändert. Gefangen zuhause, die meisten Nachrichten sind negativ. Das Gesundheitssystem ist überlastet. Man hört davon, dass Intensivplätze und Beatmungsgeräte fehlen – die Ärzte müssen entscheiden, welcher Patient so versorgt werden kann. Das ist sehr belastend.

    Silvestri: Meine Eltern sind über 80 Jahre, das macht mir Angst. Der Vater einer Bekannten ist innerhalb einer Woche gestorben und die Schwägerin eines Freundes liegt seit zehn Tagen ganz allein im Krankenhaus und kämpft gegen das Corona-Virus.

    John: Ich mache alles, damit ich so gesund bleibe wie möglich. Das Schlimmste, was einem jetzt passieren kann, ist eine Verletzung. Man muss sich ja nur einen Arm brechen! Alles ist voll mit Corona-Patienten. Und die Krankenhäuser sind die größten Ansteckungsherde momentan, hunderte Ärzte und Krankenschwestern sind infiziert.

    Haben Sie beide sich mit Vorräten eingedeckt?

    Silvestri: Als die ersten Fälle in Mailand auftraten, war ich gerade mit meiner Mutter in Südtirol. In den Nachrichten hörten wir von Panikkäufen. Ich habe zu meiner Mama gesagt: Vielleicht wäre es besser, wenn wir morgen in die Apotheke fahren und Mundschutz, Gummihandschuhe und Desinfektionsmittel kaufen. Aber wir haben zu wenig davon gekauft, ehrlich gesagt. Alle meine Freunde meinten da noch, keine Panik – aber ich dachte, nein, Mailand wird es bestimmt treffen. Und so war es dann auch.

    John: Wir waren zum Mittagessen eingeladen und da haben wir auf dem Heimweg noch groß eingekauft, weil wir nicht wussten, wie die Versorgung sein wird. Da war der Supermarkt voller als üblich. Ich persönlich habe keine leeren Regale bemerkt. Mittlerweile sehen wir, dass die Versorgung klappt. Wenn wir frische Lebensmittel kaufen, schauen wir, dass wir jeden Kontakt vermeiden: Ich gehe mit Einmal-Handschuhen einkaufen und führe eine Atemmaske mit. Ohne Maske wird man in manchen Supermärkten nicht eingelassen. Glücklicherweise haben wir noch welche in der Apotheke bekommen, für 21 Euro das Stück.

    Einkaufen ist eine der wenigen Gelegenheiten, zu denen die Italiener das Haus verlassen dürfen – die Atemmaske hat Thomas John immer dabei.

    Sie arbeiten beide von zuhause aus, haben Sie denn viel zu tun?

    John: Meine Arbeit hat sich sehr verändert. Normalerweise würde ich vertrieblich viel reisen, das fällt natürlich weg. Ich bin Mitglied des Notfall- und Krisenkomitees und dies sind mindestens drei Skypekonferenzen in der Woche mit dem Hauptaugenmerk auf Business Continuity. Zudem kümmere ich mich um Themen, für die sonst wenig Zeit bleibt – ich räume mein Outlook-Postfach auf und lese alles, was liegen geblieben ist. Trotzdem habe ich eine Routine, mache morgens spätestens um 8.30 Uhr den PC an und abends nicht vor 17.30 Uhr aus und kümmere mich von zuhause aus um die Anliegen unserer Vertriebspartner.

    Silvestri: Ich habe sogar sehr viel zu tun. Alle Veranstaltungen bis einschließlich Juni müssen wir absagen oder verschieben. Und wir sind ja nicht die einzigen, die Termine umplanen und dafür Räume buchen – ganz Mailand macht dasselbe. Dabei müssen wir die Kosten im Rahmen halten. Mir fehlt in diesen Tagen der persönliche Austausch mit den Kollegen. Wir skypen regelmäßig, als würden wir uns in der Küche auf einen Kaffee treffen. Und wenn das alles vorbei ist, das haben wir Kolleginnen uns vorgenommen, nehmen wir uns alle in den Arm. Das dürfen wir ja zurzeit nicht, aber wir werden es nachholen. Es gibt einen Satz, den man jetzt viel in den sozialen Medien sieht: andrá tutto bene – alles wird gut!

    Frau Silvestri, Herr John, herzlichen Dank für das Gespräch.