28Jan2022 Gesund leben

    „Vitamin R(esilienz) für das mentale Immunsystem“

    Sebastian Mauritz ist Buchautor („Immun gegen Probleme, Stress und Krisen“, „Wenn schon Burn-out, dann richtig“), Coach und Unternehmer. Im Interview spricht er mit uns über Herausforderungen für unsere mentale Gesundheit und verrät uns Tipps und Tricks für ein starkes mentales Immunsystem.

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    Ein Interview mit Coach Sebastian Mauritz

    Hallo Sebastian, warum wird man Coach? Was treibt dich an?

    Was mich antreibt, ist die Liebe zum Menschen. Weil ich finde, dass in jedem Menschen etwas steckt, das man zutiefst lieben muss, nämlich die Seele; dieses Licht, welches in manchen Menschen einfach sehr verdunkelt ist. Im Grunde ist es diese Faszination Mensch, die mich total begeistert und die mich dahin gebracht hat, warum ich Coach geworden bin.

    Am Anfang wollte ich mich selbst einfach besser verstehen. Damals habe ich Baseball als Leistungssport gespielt. Ich habe bemerkt, dass mit einfachsten kleinen Coaching-Interventionen riesige Unterschiede in meiner Performance gemacht habe. Ich habe dann gemerkt, wie ich im Business einfach total locker präsentiere und dachte „Wow, davon will ich mehr."

    Zusätzlich natürlich auch die Freude daran, anderen zu helfen, ihr Potential zu erreichen und sich weiterzuentwickeln. Das war der Grund, warum ich Coach geworden bin.

    Warum interessiert dich mentale Gesundheit so sehr? Bleibt die körperliche auf der Strecke?

    Mentale Gesundheit ist aus meiner Sicht die Basis für alles. Sie ist kein „nice to have“, sondern die Grundlage für eine umfassende Art von Zufriedenheit. Das bedeutet für mich auch, Mechanismen zu haben, um mit Problemen, Stress und Krisen, die mir begegnen, umzugehen. Der Kern von mentaler Gesundheit ist es, durch die erfolgreiche Arbeit des mentalen Immunsystems gestärkt aus einer solchen Krise hervorzugehen. Die körperliche Gesundheit - hoffe ich - bleibt nicht auf der Strecke. Durch die Psychoneuroimmunologie weiß man, dass mentale und körperliche Gesundheit Hand in Hand gehen.

    Psychoneuroimmunologie beschreibt im Wesentlichen, dass unser Immunsystem durch die Art wie wir Denken und welche Emotionen wir erleben beeinflusst wird. Erforscht wird, wie Angst die Immunantwort verringert, unser Immunsystem schwächer macht. Ebenso wirken sich positive Emotionen auf sehr viele Bereiche der Gesundheit, des Lebens, des Alterns und auch der Vorbeugung von (neurodegenerativen) Krankheiten aus.

    Dein persönlicher Lieblingstipp zur Stärkung des mentalen Immunsystems? 

    Bei meinem persönlichen Lieblingstipp geht es im Wesentlichen um die Stärkung der fünf übergeordneten Super-Ressourcen, die auf Dirk Eilert zurückgehen. 

    • Die erste Ressource ist „Authentischer Stolz“: „Was habe ich heute oder in den letzten Tagen getan, auf das ich stolz sein kann? Was habe ich erreicht oder geleistet?
    • Die zweite Ressource lautet „Entspannung und Sicherheit“: „Wo habe ich mich heute oder in den letzten Tagen entspannt und sicher gefühlt?
    • Die dritte Super-Ressource ist „Dankbarkeit“: „Wofür bin ich dankbar? Wenn es etwas ist, was jemand anderes getan hat, habe ich es ihn oder sie wissen lassen?“. 
    • Die vierte Ressource heißt „Ehrfurcht oder Staunen“: „Wo ist mir heute ein Wunder geschehen? Wo habe ich heute gestaunt?“
    • Die fünfte Super-Ressource ist die „Positivitätsresonanz“ oder das „Mit-Freuen“: „Wo habe ich heute etwas getan, wo sich jemand anderes gefreut hat? Wie hat es sich die Freude der anderen bei mir angefühlt?“

    Die Aktivierung dieser Super-Ressourcen stärkt ganzheitlich alle neurobiologischen Grundbedürfnisse, die der Mensch hat, und ist pures Vitamin R(esilienz) für das mentale Immunsystem. Dafür gehe ich zwei-, dreimal am Tag für jeweils 15 Sekunden in mich und stelle mir verschiedene Fragen, rufe mir die Antwort ins Gedächtnis, fühle das im Körper oder rufe mir Bilder in den Kopf.

    „Eine moderne Welt“ - Glaubst du, es ist momentan schwerer mental gesund zu bleiben?

    Ich glaube, es ist momentan sehr viel schwerer. Die Arbeitswelt wird seit ein paar Jahren immer komplexer, zum Beispiel durch Arbeitsverdichtung und wir müssen mit den Schattenseiten der New Work oder der Agilität umgehen – auch wenn alles natürlich ebenfalls Vorteile hat. Oftmals sind die Menschen aber nicht mit genug Tools, Skills und vor allem nicht mit dem richtigen Mindset ausgestattet, dem effektiv und kraftvoll zu begegnen. Hinzu kommen die Angst, die ich seit etwa anderthalb Jahren bei vielen Leuten bemerke, und die Ungewissheit in Anbetracht der VUKA-Welt (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität).

    Struktur, Ordnung, Sicherheit und Entspannung sind allgemeine Bedürfnisse. Alles, was schneller wird, alles was kurzlebiger wird, verletzt eigentlich genau dieses Grundbedürfnis nach Stabilität. Das führt zu einem erhöhten Cortisol-Ausstoß. Cortisol ist ja ein Stresshormon. Um das zu beruhigen brauchen wir eben im Endeffekt Sicherheit und Entspannung.

    Stress scheint allgegenwärtig, was ist deine Einstellung dazu?

    Naja, ich spreche da gerne von einer „Stresseinladung“. Diese ist tendenziell etwas, was ich auch ablehnen kann. Stress an sich ist erstmal nicht schlecht. Wenn wir am Anfang der Stressreaktion sind, dann werden wir wacher, also dann wird das Gehirn leistungsfähiger, es investiert Energie, um besser Leistung abrufen zu können. Das Problem: Wenn wir stress haben, können wir schlechter in die Regeneration gehen. Zudem entsteht Stress auch dadurch, dass die Menge an Informationen und Themen so übermächtig sind und wir zum einen kaum gelernt haben uns da richtig abzugrenzen, zum anderen haben wir nicht immer gelernt damit gut umzugehen. Leider gibt es kein Unterrichtsfach „Emotions- und Stressmanagement“ über den Umgang mit internen und externen Stressoren. Das wäre sehr hilfreich.

    Vielleicht kannst du ein wenig Inhalte dieses Kurses skizzieren.

    Wenn zum Beispiel jemand sagt: "Ich habe Stress auf der Arbeit und danach beginnt der Freizeitstress", was würdest du dieser Person als Coach raten?

    Ich würde genauer nachfragen. Da höre ich den inneren Antreiber „sei perfekt“, immer alles schaffen zu müssen; und den Antreiber „mach schnell“, also möglichst schnell vom einen zum anderen und keine Zeit zu verlieren. Da höre ich raus „mache es allen recht“. Das gilt es zu Reflektieren.

    Zum Stress auf der Arbeit - Wie kommt er zustande? Ist das der Workload, geht es um Über- oder Unterqualifizierung? Ist es permanent nicht zu schaffen, oder bestehen Unsicherheiten?

    Zum Freizeitstress: Was davon kann ich wählen und wie viel kann ich weglassen? Ich als Coach würde der Person raten erstmal zu sortieren. 50% von Coaching sind sortierarbeiten. Ich würde fragen: Ist das jeden Tag so, ist das mal mehr oder weniger? Ist das in allen Bereichen so? Die Aussage „ich habe stress auf der Arbeit“ ist universell: Wer nicht? Ist das zu viel Stress, oder aktivierender Stress? Ist das dysfunktionaler Stress? Da muss man in die genaue Analyse gehen.

    Stiller Stress: Was kann bei Einsamkeit im Home Office helfen?

    Das ist natürliche eine drängende Frage, denn wir brauchen alle Kontakt. Der Mensch ist ein Beziehungswesen. Das Hirn benötigt Kontakt mit anderen. Einsamkeit – das hat Manfred Spitzer auch so treffend beschreiben - ist ein echter Killer. Was hilft ist eine Form von Kontakt. Sei es ein Hobby, seien es Gespräche mit Nachbarn, seien es andere Gruppen. Auch wenn es einfach am Abend ein Zoom Meeting mit wohlmeinenden Freunden ist. Man braucht Kontakte – egal über welche Wege.

    Soziale Kontakte helfen uns also durch schwere Zeiten. Was kann darüber hinaus in der modernen Welt helfen, die schon als „meaningless Modernity“ betitelt wurde?

    Meaning – da gibt es ja diese schönen Bücher von Viktor Frankl, der sich in seiner Psychotherapieschule um das Thema Meaning, also um Sinnerleben kümmerte. Ich glaube wir müssen Sinn aktiv erzeugen. Da die Frage: „Wofür mache ich das Ganze? “, anstatt warum „Was ist der Sinn den ich meinem Leben gebe?“. Ich finde es ist auch wichtig nicht zu verlernen nicht nur den Sinn bei sich zu suchen, sondern auch über sich hinausgehend auch für andere. Vielleicht ist es Gemeinschaft. Da kann man auch im Kleinen anfangen. Was kann ich heute für die Welt Gutes tun? Das sind kleine Dinge, die in der Positiven Psychologie als random acts of kindness gehandelt werden.

    Aber sich auch zu überlegen, wie soll mein idealer Tag in 5 oder 10 Jahren aussehen. Wie soll da meine perfekte Woche aussehen? Und das sind alles Überlegungen, die einen mehr zu langfristigerem Denken führen. Wir sind Durch die momentane Situation sehr kurzfristig geworden. Ich glaube Wir brauchen dringend auch wieder ein langfristigeres Denken: also nicht im Sinne von Problemen in 5 Jahren und 10 Jahren, sondern im konstruktiv-optimistisch Positiven.

    Wie sieht deine Vision von der Zukunft aus?

    Meine Vision für die Zukunft, ist eine – wenn ich träumen darf - eine wo Menschen mit ihren Emotionen sehr viel konstruktiver umgehen. Also wo Menschen mit ihren Emotionen gut klarkommen, sie gut benennen können, einfach ein Leben führen, das sie in ihre Kraft  bringt, einen individuellen Sinn für sie gibt, aber auch den Sinn für die Gemeinschaft. Das ist mein Traum und dafür versuche ich die Welt jeden Tag ein bisschen resilienter und bisschen besser zu machen.

    Ich habe mittlerweile 300 Resilienztrainerinnen und Trainer ausgebildet; das sind meine „Komplizen“ auf dem Weg hin zu einer besseren Welt. Ich finde, wenn wir alle uns „Komplizen“ suchen, um die Welt besser zu machen, dann wird es gelingen.

    Lieber Sebastian, wir danken dir ganz herzlich für das Gespräch. 

    Das Gespräch führte Katharina Ludwig, Beraterin für Betriebliches Gesundheitsmanagement bei der R+V Versicherung.