Wormser Schülerfirma wird digital
    18Apr2024 100 Jahre

    Wormser Schülerfirma wird digital

    Im Umweltladen Confair verkaufen Wormser Schüler seit Generationen fair gehandelte Produkte an Mitschüler und Lehrer – komplett in Eigenregie. Dank der MissionMiteinander jetzt auch online.

    Von Eva Kuschfeldt

    Wenn Sebastian Lehmann sein Geodreieck für die Mathearbeit vergessen oder in der Pause Lust auf Schokolade hat, ist der Weg zu beidem nicht weit: Hier am Rudi-Stephan & Gauss Gymnasium Worms wurde schon vor vielen Jahren ein Kellerraum zum Umweltladen „confair“ umgebaut. Ausschließlich Schüler organisieren dort den täglichen Betrieb, dazu gehört auch der 15-Jährige Sebastian. Etwa zu drei Schichten ist er pro Woche eingeteilt – manchmal vor Unterrichtsbeginn, manchmal in den Pausen. „Der Laden hat mich schon immer begeistert – diese Idee, dass alles, was man braucht, direkt hier ist und man auch aus anderen Klassen viele Leute kennenlernen kann“, findet der Zehntklässler. Vom Post-it-Block bis zur Chipstüte verkauft er gemeinsam mit etwa 20 Schülerkollegen ausschließlich fair gehandelte Bio-Schreibwaren und -Pausensnacks – zu günstigen Preisen für ihre Mitschüler, denn ein Gehalt zahlen sich die jungen Mitarbeiter nicht aus. Dafür gibt es nach der jährlichen Inventur einen gemeinsamen Ausflug ins nahe Flammkuchenrestaurant.

    Für die Mathe- und Physiklehrerin Ursel Frößl zählt vielmehr der Lernaspekt: „Gerade wer über Jahre hinweg dabei war, hat nach dem Abitur schon viel gelernt, zum Beispiel den Umgang im Team und mit Kunden – vor allem in negativen Situationen“, findet Frößl. „Manche übernehmen Führungsaufgaben. Sie erfahren, wie man einen Geschäftsbetrieb organisiert und eigene Ideen umsetzt. Vielleicht hilft das dem ein oder anderen bei der Berufswahl.“

    Der Laden hat mich schon immer begeistert!"
    Sebastian Lehmann
    Zehntklässler am Rudi-Stephan & Gauss Gymnasium Worms
    Ein echtes Unternehmen zum Lernen fürs Leben
    Zehntklässler Sebastian Lehmann und die Lehrerin Ursel Frößel sind beim Onlineshop federführend.
    Der Zehntklässler Sebastian Lehmann und die Lehrerin Ursel Frößel sind beim Onlineshop federführend.

    Seit der Gründung 1989 liegt der Laden komplett in Schülerhand. Die Lehrkraft erklärt: „Wir Lehrer erledigen nur, wofür man rechtlich volljährig sein muss, zum Beispiel die Steuererklärung und Kontoverwaltung.“ Als Ansprechpartner sind trotzdem fünf Lehrerkollegen für den Umweltladen da – Frößl für Marketing- und neuerdings auch Website-Angelegenheiten. Und weil auch Projekteinreicher bei der MissionMiteinander erwachsen sein mussten, hat sie als Projekt den längst geplanten Webshop für ihre Schützlinge angemeldet. „Gerade zu Corona-Zeiten waren wir genauso von den Maßnahmen betroffen wie andere Läden auch“, begründet Frößl den Webauftritt. Außerdem soll der Laden für die wichtige Zielgruppe der Eltern präsenter und die Buchhaltung für die Schülerfirma vereinfacht werden.

    Bei der Gründung dieser besonderen Unternehmensform war Ursel Frößl selbst dabei. Von einem einfachen Schulprojekt unterscheidet sich eine Schülerfirma grundsätzlich durch ihr Ziel, unter dem rechtlichen Dach der Schule Geschäftsideen umzusetzen und dabei sogar Gewinne erwirtschaften zu dürfen. Ähnlich wie am freien Markt teilt sich die Schülerfirma im Bildungszentrum Worms deshalb auf in klassische Unternehmensabteilungen wie Einkauf, Marketing & Homepage, Personal und natürlich den Verkauf.

    Wir Lehrer erledigen nur, wofür man rechtlich volljährig sein muss, zum Beispiel die Steuererklärung und Kontoverwaltung.“
    Ursel Frößl
    Mathe- und Physiklehrerin am Rudi-Stephan & Gauss Gymnasium Worms
    Dank Geschwistertipp zur MissionMiteinander
    Eppenstein von der R+V hat die Bewerbung für die MissionMiteinander in die Wege geleitet.
    Axel Eppenstein von der R+V hat die Bewerbung für die MissionMiteinander in die Wege geleitet.

    Die wichtigen Lernaspekte für die eigene Zukunft haben auch Frößls Bruder, den R+V-Mitarbeiter Axel Eppenstein, am Umweltladen begeistert: „Die Schüler lernen fürs Leben! Das, was im Unterricht nicht vorkommt, können sie hier selbst erfahren.“ Denn beispielsweise bewerben die Schüler sich per Bewerbungsbogen bei der Personalabteilung, um sich bei einem zuständigen Schüler im Vorstellungsgespräch zu behaupten. Und weil sie zum Ende ihrer Tätigkeit sogar ein Arbeitszeugnis ausgestellt bekommen, ist die Schülerfirma wohl schon in vielen Bewerbungsunterlagen für spätere Jobs aufgetaucht.

    „Es hat mich an die Genossenschaftsprojekte von André Dörfler erinnert – solche gemeinschaftlich aufgebauten Projekte finde ich einfach toll“, schildert Eppenstein, der als Transformationmanager Digitalisierung und Innovationmanager im Bereich ZI arbeitet und seine Schwester direkt zur Bewerbung motivierte, als die die MissionMiteinander losging.
     

    Die Schüler lernen fürs Leben! Das, was im Unterricht nicht vorkommt, können sie hier selbst erfahren.“
    Axel Eppenstein
    R+V-Mitarbeiter
    Webpräsenz dank MissionMiteinander

    Mit 4.000 Euro aus der MissionMiteinander konnte die Schülerfirma den neuen Onlineshop finanzieren: Eine Werbeagentur legte den Shop in seiner Grundstruktur an – mit Designvorgaben der Schülerinnen und Schüler, die das Corporate Design im Zusammenhang mit einem anderen Projekt selbst entworfen hatten. Den Shop-Inhalt – über 80 Produkte samt Preisen und verschiedenen Varianten – haben die Schüler selbst eingepflegt. Allen voran Zehntklässler Sebastian Lehmann, der viel Herzblut in das Website-Projekt gesteckt hat. Sogar ein Programm zum Auslesen der Bestellbenachrichtigungen hat der 15-Jährige geschrieben, um die Arbeit mit dem Shop zu erleichtern. Seit dem ersten Schultag des aktuellen Schuljahres 2023/24 ist er nun online. Die Webpräsenz betraf auch die Personalabteilung: „Seitdem wir den Onlineshop haben, haben wir zusätzlich Schichten eingeteilt, die die Bestellungen einsehen und zusammenpacken“, erzählt Sebastian. Bezahlt wird nach wie vor in bar bei der Abholung.

    Wormser Schülerfirma wird digital: Schulsachen.

    Wenn man sich zwischen Schulsachen...

    Wormser Schülerfirma wird digital: Süßigkeiten.

    ...und Süßigkeiten entscheiden muss.

    Wenn ich in der zweiten Pause meine Schicht habe, verkaufe ich die ‚Gute Schokolade‘ mindestens 15 Mal."
    Sebastian Lehmann
    Zehntklässler am Rudi-Stephan & Gauss Gymnasium Worms
    35 Jahre Umweltladen, 20 Jahre Schülerfirma

    Im Jahr 2024 stehen gleich zwei Jubiläen an, denn bereits vor 35 Jahren hat ein heute pensionierter Kollege von Ursel Frößl das Projekt „mit einem Bauchladen an Schulheften“ initiiert. Mittlerweile bestellen Lehrer die Unterrichtsmaterialien für ganze Klassen im Umweltladen. Auch das Lehrerzimmer versorgt die Schülerfirma regelmäßig mit Milch, Spülmittel und Kaffee. Das beliebteste Schülerprodukt ist laut Sebastian aber immer noch kein Lernmaterial: „Wenn ich in der zweiten Pause meine Schicht habe, verkaufe ich die ‚Gute Schokolade‘ mindestens 15 Mal.“

    Ob es an der Schokolade liegt, dass der Umweltladen im Bildungszentrum Worms nicht mehr wegzudenken ist? Wer heute am Rudi-Stephan & Gauss Gymnasium zur Schule geht, kennt sie nicht ohne – und auch vielen Ehemaligen ist er noch gut in Erinnerung. „Zum Tag der offenen Tür habe ich von vielen Eltern erfahren, dass sie sich noch gerne an ihre Erlebnisse dort zurückerinnern und froh sind, dass der Umweltladen noch immer hier ist“, freut sich Frößl. Jetzt eben auch digital.

    Die MissionMiteinander und ihre Projekte​

    Confair ist eines von 339 Zukunftsprojekten der MissionMiteinander. Die R+V hatte zu ihrem 100. Geburtstag im Jahr 2022 insgesamt 1,6 Millionen Euro für Projekte bereitgestellt, die eine bessere Zukunft schaffen. Alle 17.000 R+V-ler konnten für ihr Lieblingsprojekt abstimmen – und je mehr Kolleginnen und Kollegen einem Projekt ihre Stimme gegeben haben, desto höher fiel die finanzielle Unterstützung aus.​