28Jan2022 Gesund leben

    „Das wichtigste am Sitzen ist das Aufstehen“ – Interview mit Trainer Rafael Jung

    Rafael Jung berät als Sportwissenschaftler und Gesundheitstrainer bei lyfes Interessierte zu gesunder Ernährung und mehr Bewegung.

    In unserem Gespräch gibt Rafael interessante Tipps, wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich auch im Homeoffice fit halten können, um ihr eigenes Wohlbefinden zu steigern.

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    Rafael, wie geht man am besten an das Thema ran, wenn man etwas ändern möchte – was ist deine Philosophie?

    Rafael Jung: "Ich treibe selbst schon mein Leben lang gerne und leidenschaftlich Sport, und habe Sportwissenschaften studiert. Mir ist eine ganzheitliche Betrachtung von Gesundheit sehr wichtig, deshalb habe ich mich auch beim Thema Ernährung und auf dem Gebiet der Stressbewältigung fortgebildet. Diese ganzheitliche Betrachtung von Gesundheit – mit Ernährung, Sport und mentaler Gesundheit, möchte ich unseren Kundinnen und Kunden vermitteln. Das ist auch unsere Philosophie bei lyfes. Es ist schön zu erleben, wenn bei den Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, ein Aha-Effekt eintritt, weil diese Bereiche ihr generelles Wohlbefinden beeinflussen."


    Wenn jemand das Ziel hat: „Ich möchte unbedingt abnehmen“ – wie kann man dieses Ziel verwirklichen?

    Rafael Jung: "Viele setzen sich unter Druck, dass sie etwa in einem Monat fünf Kilo verlieren wollen. Diese Herangehensweise ist nicht gut geeignet. Abnehmen, Sport und das eigene Wohlbefinden sind ein langfristiges Thema. Wir erwarten heutzutage oft, dass Dinge immer sofort passieren müssen und es schnelle Ergebnisse gibt. Deshalb rate ich: Zuerst mal das Tempo rausnehmen und sich bewusstmachen: Es geht weniger ums Abnehmen, sondern um eine Ernährungsumstellung. Man sollte vielmehr auf eine langfristige Verhaltensänderung hinarbeiten – die dann idealerweise für das weitere Leben anhält. Deshalb empfehle ich, erst herauszufinden, welche Ziele man wirklich hat, ob man sich mit diesen Zielen wohlfühlt, um dann Schritt für Schritt darauf hinzuarbeiten. Das eigene Ziel sollte in den meisten Fällen nicht gleich eine Teilnahme an einem Marathon sein!"


    Schritt für Schritt ist ein gutes Stichwort! Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sitzen seit über einem Jahr im Homeoffice, und bewegen sich wenig. Welche Tipps hast du hier für mehr Bewegung?

    Rafael Jung: "Als erstes sollte man immer versuchen, Bewegung in den Alltag zu integrieren. Wir alle haben uns im letzten Jahr wahrscheinlich weniger bewegt – und ich nehme mich selbst gar nicht aus. Es gibt da einen passenden englischen Begriff: NEAT. Das heißt „Nonexercise activity thermogenesis“, also „nicht sportbezogene Aktivitäten“. Das bedeutet konkret: Eine Art niedrigschwellige, regelmäßige Bewegung, wie Stehen statt Sitzen, spazierengehen, Treppen steigen oder sogar Hausarbeit. Da empfehle ich immer anzusetzen.

    Gerade mit regelmäßigem zu Fuß gehen kann man seine Alltagsbewegung wunderbar verbessern. Mein Tipp: Gerade bei alltäglichen Wegen wie dem Arbeitsweg sollte man sich fragen: Kann ich das nicht zu Fuß zurücklegen? Ist der Weg wirklich zu lang, oder bin ich vielleicht zu bequem? Auch hier soll man sich natürlich nicht überfordern – keiner muss seinen Wocheneinkauf nach Hause schleppen. Und im Homeoffice kann man z. B. im Stehen oder Gehen telefonieren. Diese Ratschläge haben die meisten sicher schon gehört – man muss es allerdings auch umsetzen und idealerweise zur Routine machen."


    Zu Beginn der Pandemie haben wir alle gehört, wie unsere Nachbarn Online-Sportstunden absolviert haben – oder haben vielleicht auch selbst welche absolviert. Ist das dann der nächste Schritt?

    Rafael Jung: "Das ist ganz individuell und hängt davon ab, wie sportlich ich bin. Wenn man früher Kurse besucht hat, ist das eine wunderbare Alternative. Aber man muss immer vom aktuellen eigenen Sport-Level ausgehen, und dieses langsam erhöhen. Wenn man größere Ziele erreichen möchte, dann reicht das empfohlene Bewegungsminimum von der WHO von 150 Minuten in der Woche nicht – das ist eher, um den Status quo zu erhalten."

    Immer in Bewegung bleiben – auch im Homeoffice

    Rafael hat uns seine ganz persönlichen Tipps verraten, wie jeder mit wenig Aufwand daheim in Bewegung bleiben kann:

    • Besonders Übungen für den Rücken und die Rückenmuskulatur sind wichtig - und zwar nicht nur für Leute, die viel am Schreibtisch sitzen. Auch in der Freizeit sitzen wir schließlich sehr oft und sehen zum Beispiel fern. Deshalb sind Übungen für den oberen Rücken und die Schultermuskulatur so wichtig.

    • Rafael empfiehlt: Man kann seinen Rücken unter Spannung bringen, indem man einfach die Schultern nach hinten zieht. Am besten die Arme durchstrecken, dabei zeigen die Hände nach rechts und links. Dann die Arme so weit nach hinten führen, dass sich die Handrücken hinter dem Rücken berühren. Dann die Spannung fünf Sekunden halten und anschließend wiederholen.

      Ein sogenanntes Widerstandsband, ein Loop oder Theraband, erhöht den Effekt bei der vorherigen Übung noch. Hier einfach das Theraband während der Übung auseinanderziehen und wieder entspannen.

    • „Das wichtigste am Sitzen ist das Aufstehen“, erklärt Rafael. Das sollten wir so häufig wie möglich machen. Und am besten zusätzlich noch ein paar Schritte im Zimmer hin und her gehen. Man kann sich sogar einen Timer stellen und nach 30 Minuten immer für drei Minuten aufstehen.

     

    Zum zweiten wichtigen Thema – die Ernährung: Im Homeoffice ist der Kühlschrank nah, die Schokolade griffbereit. Was empfiehlst du allen, die besonders mit dem inneren Schweinehund kämpfen?

    Rafael Jung: "Das war für viele in der Tat eine große Herausforderung im letzten Jahr. Gleichzeitig ist das Snacking zwischendrin oft der größte Hinderungsgrund, warum man es nicht schafft, abzunehmen. Viele kleine Snacks summieren sich. Deshalb sollte man sich Alternativen schaffen. Wenn man das Bedürfnis nach etwas Süßem hat, liegt das oft gar nicht daran, dass man Hunger hat, sondern Ablenkung braucht. Dann lieber zu Gemüse greifen!"

    Gesunde Snacks zwischendurch – und das mit weniger Aufwand als gedacht

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    • Sellerie oder Karotten sind frisch, und knacken beim Reinbeißen. Und der Geräuschfaktor ist wichtig – nicht umsonst achten Chips-Hersteller beispielsweise sehr auf den „Sound“, der beim Reinbeißen entsteht. Was manche vielleicht überrascht: Gemüse ist besser geeignet als Obst, weil Obst teilweise viel Fruchtzucker enthält.

    • Und noch eine gute Nachricht: Setzt euch keine strengen Verbote auf! Früher oder später fällt diese sogenannte „rigide Kontrolle“ sowieso – und dann gibt es meist kein Halten mehr. Aber selbst wegen einer solchen Schlemmerei muss man sich nicht selbst schimpfen. Solange es nur hin und wieder passiert, ist (fast) alles erlaubt!

      Rafaels Philosophie ist demensprechend: Es gibt keine falschen Lebensmittel, sondern nur falsche Mengen.

    • Gerade wenn man abnehmen will: Das Trinken nicht vergessen. Das sorgt schon für einen gewissen Sättigungsfaktor. Dabei aber nicht vergessen: Säfte und Latte Macchiato haben durchaus Kalorien.

    Wir wollen gerne noch dein Lieblingsgericht erfahren.

    Rafael Jung: "Ich mag die asiatische Küche sehr gerne und bin ein großer Reisfreund. Das Schöne ist, dass man bei einer Reispfanne ganz flexibel ist und hinzufügen kann, auf was man gerade Lust hat. Gemüse und Nüsse beispielweise schmecken gut und sind gesund. Reispfannen sind außerdem schnell zubereitet. Auch hier kann man das Gesunde mit dem Machbaren verbinden. Sich gesünder zu ernähren, muss gar nicht kompliziert sein! Es darf auch mal eine Soße dazu sein, zum Beispiel eine asiatische Soße."


    Uns würde noch deine Meinung zu Ernährungstrends interessieren: Intervallfasten oder auch Paläo.

    Rafael Jung: "Auch hier gilt wieder: Am wichtigsten ist immer das eigene Wohlbefinden und die Gesundheit. Beim intermittierenden Fasten geht es weniger darum, was ich esse, sondern wann. Diese Regulation der Malzeiten, die ich über den Tag aufnehme, kann durchaus sinnvoll sein. Wenn man nur in einem begrenzten Zeitraum isst, dann reduziert man automatisch Kalorien. Aber das ist typabhängig. Wenn man gut aufs Frühstück verzichten kann – warum nicht! Wer das Frühstück braucht, kann sich trösten: Der Schlaf ist ja schon eine Fastenperiode. Deshalb kann man ruhig beim Frühstück „fastenbrechen“.

    Bei Paläo geht es dagegen eher darum: Was esse ich? Ernährung orientiert sich auch an Trends. Das ist ok, aber man sollte immer im Blick haben: Welche Nährstoffe benötige ich? Das ist die Grundlage für jede Ernährungsweise."