11Apr2023 Kollegen privat

    Corona-Tester auf vier Pfoten

    Hunde erschnüffeln Corona-Viren besser als jeder Test – Kollegin Jessica Wollrab nahm mit ihren Hunden an einer wissenschaftlichen Studie teil.

    Von Stefanie Simon

    Konzentriert schnuppert Grisu an einem silbernen Kasten. Nacheinander steckt der vierjährige Rüde seine Nase in mehrere Löcher an der Vorderseite des Apparates. Plötzlich bleibt er an einem der Löcher stehen, die Nase noch in der Öffnung. Es piepst, die Maschine gibt ein Leckerchen frei – Grisu hat den richtigen Duft gefunden: Corona-Viren.

    Hunde haben ein hochentwickeltes Geruchsvermögen, sie werden eingesetzt, um Drogen zu erspüren, gefälschte CDs zu erkennen, Diabetiker vor einer Unterzuckerung oder Epileptiker vor einem Anfall zu warnen. Warum sie nicht auch als Corona-Tester einsetzen? Die Tierärztliche Hochschule (Tiho) Hannover führte dazu mehrere Studien durch – Kollegin Jessica Wollrab nahm mit ihren Hunden daran teil. Im Hauptberuf ist sie bei der R+V Kundenbetreuerin in Kraftfahrt Betrieb Hannover.

    Vor einigen Monaten erfuhr Jessica Wollrab von den Untersuchungen der Tiho Hannover, setzte sich kurzentschlossen hin und schrieb an den Tierärztlichen Leiter der Studie, Professor Dr. Holger Volk. Schließlich waren ihre Hunde ausgebildete Spürhunde: Schäferhund-Mix Poldi und Working Kelpie Grisu suchten für das Deutsche Rote Kreuz in Hannover nach Vermissten (wir berichteten, hier geht es zum Artikel). Sie wurde angenommen, ihre beiden Nasenprofis auch. Inzwischen ist auch ihr vierbeiniges Nachwuchstalent Anubis, ebenfalls ein Working Kelpie, mit von der Partie.

    Die Meister der Nase

    Der Geruchssinn des Hundes ist mit dem des Menschen nicht zu vergleichen. Hunde

    • haben eine viel größere Riechschleimhaut in der Nase: 150 Quadratzentimeter gegenüber kläglichen fünf Quadratzentimetern beim Menschen
    • können einen Duft in ihren beweglichen Nasenlöchern einzeln wahrnehmen – Hunde riechen stereo
    • haben im Vergleich mit den Menschen ein sehr großes Riechhirn. Beim Hundehirn macht es 10% aus, beim Menschen 1%.
    • besitzen 200 bis 300 Millionen Riechrezeptorzellen (gegenüber 5 bis 8 Millionen beim Menschen) und ein zusätzliches Geruchssystem, das vomeronasale Organ,
    • atmen beim Schnüffeln bis zu 300 Mal pro Minute ein
    Sechs Wochen Schnüffeltraining

    Sechs Wochen trainierte Jessica Wollrab, als einzige Privatperson gemeinsam mit Bundeswehrsoldaten und anderen professionellen Ausbildern für Spürhunde. Das Ziel: Die Hunde sollten lernen, den Geruch von Corona-Viren herauszufiltern und dies dem Menschen zuverlässig mitzuteilen. „Das ist eine komplexe Aufgabe“, erklärt Jessica Wollrab. „Wir haben dabei mit einer Maschine gearbeitet, um auszuschließen, dass der Mensch unbeabsichtigt den Hund beeinflusst.“ Denn Hunde sind Meister darin, auch kleinste Signale zu erkennen. „Wenn der Hundeführer weiß, wo der richtige Geruch ist und auch nur den Bruchteil einer Sekunde zögert oder die Augen in diese Richtung bewegt, erhalten die Hunde dadurch einen Hinweis.“

    Um den Faktor Mensch zu minimieren, setzten die Studienleiter eine Maschine ein: das Detection-Dog-Trainings-System. In der Maschine sind sieben Löcher, hinter jedem Loch liegen Proben, nur eine davon ist corona-positiv. Die Maschine verschiebt nach dem Zufallsprinzip die Proben. Wenn der Hund die Nase zum Schnuppern in die Löcher steckt, löst er am richtigen Loch eine Lichtschranke aus – ein Piepton erklingt und ein Leckerchen fällt heraus.

    Konzentriert schnuppert Grisu an einer ausgeklügelte Schnüffel-Maschine: dem Detection-Dog-Trainings-System.
    Schritt für Schritt zum Corona-Testhund

    Das klingt einfach, ist es aber nicht. Denn die Hunde mussten erst lernen, mit der Maschine umzugehen und dann ein eindeutiges Anzeigeverhalten zu zeigen. „Am Anfang trifft der Hund nur zufällig das richtige Loch“, erzählt Jessica Wollrab. „Aber da sofort das Futter herausfällt, haben sie es schnell raus, wie es funktioniert.“ Im Training soll der Hund die Nase vier Sekunden in das richtige Loch halten, so dass ganz klar wird, welches er meint. Daher ertönt der Piepton, der das Futter ankündigt, mit der Zeit immer später. „So lernen die Hunde, länger am Zielduft zu verharren.“

    Im letzten Trainingsschritt wurden die Hunde an das so genannte Line up herangeführt: Denn im Ernstfall liegen die Proben in langer Reihe vor ihnen, ohne die vertraute Maschine. „Jeder Hund hat dabei eine besondere Methode der Anzeige entwickelt“, erzählt Jessica Wollrab. „Mein Poldi etwa bewegte sich schräg die Proben entlang. Sobald er den Zielgeruch wahrnahm, richtete er sich gerade aus und hielt die Nase über der Probe.“ Andere wedelten bei Erfolg, drückten die Nase kräftig an den Probenbehälter oder setzten sich hin. „Wir nahmen, was die Hunde angeboten haben – im Line up war uns nur wichtig, dass die Anzeige für uns klar und deutlich erkennbar war.“

    Und dann waren sie bereit für die Konzerte, in denen sie hunderte von Proben abschnüffeln sollten – nach nur sechs Wochen Training.

    Der Ernstfall: Konzerte in Hannover

    Im September 2021 wollte die Hochschule auf vier Konzerten, die unter dem Motto „Back to Culture“ in Hannover stattfanden, die Zuschauer auf Corona testen. Dabei waren: die international erfolgreiche Rockband Fury In The Slaughterhouse, der Pop-Rock-Sänger Bosse, der DJ Alle Farben und Rapper Sido. Die Anzahl der Zuschauer steigerte sich von einem Termin zum nächsten, bei dem letzten Event der Reihe waren es mehr als 1.000 Personen.

    Ein erster Auswahlprozess startete lange vor Konzertbeginn. Die Zuschauer mussten am Tag des Konzerts in einem Testzentrum mehrere Proben abgeben – mit dem bekannten Nasenabstrich. „Zwei davon bekamen wir,“ erzählt Wollrab. Immer zehn Proben wurden zusammen in einen Becher gelegt – diese Sammelproben kamen in die Schnüffelmaschine. „Wenn einer der Hunde eine dieser Proben als positiv anzeigte, musste ein zweiter noch einmal ran.“ Bestätigte der zweite Hund das Ergebnis, wurden die zweiten Proben dieser zehn Zuschauer einzeln in die Maschine gegeben. „So haben wir die Namen der infizierten Personen ermittelt. Das Testzentrum informierte die Betroffenen, das für sie das Konzert leider ausfallen musste.“
     

    Zweiter Durchgang: Proben bei der Einlasskontrolle

    Im zweiten Schritt wurden die Zuschauer gebeten, bei der Einlasskontrolle eine Schweißprobe abzugeben. „Das war ganz unkompliziert“, meint Wollrab. „Dazu sollten sie mit Wattepads über die Armbeuge streichen. Diese Stelle ist leicht erreichbar und nicht durch Deo oder Parfum kontaminiert.“ Außerdem hatten die Zuschauer beim Einlass noch einen Fragebogen ausgefüllt: Hatten sie irgendwelche Krankheiten, nahmen sie Medikamente ein? „Das sollte die Frage beantworten, ob die Hunde dadurch irgendwie beeinflusst wurden“, erklärt Wollrab. „Aber es stellte sich heraus, dass dies überhaupt keine Rolle spielte.“

    Die Zuschauer warfen nun ihre Proben in einen nummerierten Becher und warteten. Hinter einer Sichtblende wurden die Proben im Line up ausgelegt, die Hunde daran vorbeigeführt. Schwerstarbeit für die tierischen Schnüffler: Die Hunde schafften 40 Proben in weniger als einer Minute. Wieder wurde jede positiv angezeigte Probe von mehreren Hunden gecheckt.

    An diesen Abenden schnupperte jeder Hund rund 200 Proben ab, drückte seine Nase mehrfach an jeden Behälter mit den Wattepads, ging unbeeindruckt weiter oder zeigte positive Proben durch Sitzen, Verharren oder auch ekstatisches Schwanzwedeln an. „Das heißt: Für 1.000 Personen braucht man fünf Hunde“, rechnet die Hundeführerin vor. „Die Teams wechselten sich dabei ab – so konnten die Hunde Ruhepausen einlegen. Das Schnüffeln ist Schwerstarbeit, das darf man nicht unterschätzen.“ Wenn ein Hund hier eine positive Probe anzeigte, musste wieder ein zweiter Hund das Ergebnis bestätigen. „Wenn beide Hunde klar anzeigten, wurde die Person vom Konzert ausgeschlossen.“  

    Können ausgebildete Hunde im Alltag eingesetzt werden, um Corona-infizierte Personen aufzuspüren? Vier Konzerte sollten darüber Aufschluss geben.
    Wie sensibel sind die Spürnasen?

    Das Ergebnis: Sensationell. „In der Sensitivität, also beim Erkennen der positiven Proben, waren die Hunde besser als die meisten Tests.“ Manche Ergebnisse waren überraschend: Die Hunde zeigten bei einigen Personen eine Corona-Infektion an, bei denen der tagesaktuelle Schnelltest negativ ausgefallen war. „Diese Personen mussten einen PCR-Test machen und diesen drei Tage später nochmal wiederholen“, berichtet Wollrab. „Wir hatten Fälle, in denen die Hunde positiv angezeigt hatten und wo der PCR-Test erst drei Tage nach dem Konzert positiv war. Das heißt: Die Hunde sind sensibler als jeder Test.“

    Ähnlich feinfühlig reagierten die Hunde bei Long Covid-Erkrankten. Auch bei Personen, die längst von Corona genesen waren, zeigten sie an. Jessica Wollrab erklärt den Grund dafür: „Die Tests messen die Virenlast und zeigen nur bei Überschreiten einer gewissen Grenze ein positives Ergebnis. Die Hunde aber riechen die Abbauprodukte, die im menschlichen Körper durch Stoffwechselvorgänge nach der Infektion entstehen. Dieser spezielle Geruch tritt schon bei einer geringen Virenlast auf.“

    Fazit: Die Studien bieten den wissenschaftlichen Nachweis, dass die Hunde nicht nur zuverlässig eine Covid-Erkrankung anzeigen. Und vor allem, dass die Untersuchung auch bei größeren Menschenmengen durchführbar ist. „Die Hunde müssen natürlich ausgebildet werden, das begrenzt ihre Zahl“, meint Wollrab. „Aber es ist durchaus vorstellbar, dass bei Veranstaltungen oder in Krankenhäusern und Seniorenheimen irgendwann die Hunde anstelle von Testcentern diese Arbeit übernehmen.“

    Hundenasen sind genauer als PCR-Tests

    Bei der Genauigkeit von Corona-Tests sind zwei Kennzahlen wichtig:

    1. Sensitivität: wie viele positive Proben werden korrekt identifiziert
    2. Spezifität: Wie viele negative Proben werden erkannt und nicht angezeigt

    Je nach Hersteller, Tag der Testung und dem vorhandenen Probenmaterial können die Werte sehr unterschiedlich ausfallen, daher gibt es eine gewisse Spreizung.  

    Testart Sensitivität Spezifität
    Antigen-Schnelltest 50 – 100 Prozent 97 – 99,8 Prozent
    PCR-Test 62 – 80 Prozent 97,8 – 98,6 Prozent
    Corona-Spürhunde 82,63 Prozent 96,35 Prozent